Vorlesung: Die Literatur des 20. Jahrhunderts (WS 2016/17)
Prof. Dr. Albert Meier

Die Literatur des 20. Jahrhunderts – Franz Kafka: Der Prozess

Franz Kafka kann dem Expressionismus zugerechnet werden, da er ähnlich wie die expressionistischen Lyriker ›metonymisch‹ schreibt: Kafka manipuliert die Alltagssprache zum Zweck der poetischen Verfremdung. Seine ›verzerrte‹ Darstellung zeitgenössischer Realität entspricht Stilprinzipien des damaligen Stummfilms, wie sich am Vergleich mit folgendem Standbild aus Das Cabinet des Dr. Caligari (1919/20) von Robert Wiene zeigt:

100 Jahre Premiere von „Das Cabinet des Dr. Caligari“: Vom „verrückten Ding“ zum Welterfolg – wie die Musik den Film groß raus brachte

Man erkennt Elemente einer realen Welt: Fenster, Stufen, Wände, einen Mann: Dennoch entspricht nichts ›wirklich‹ der Lebenswelt. Kafkas Literatur ist in analoger Weise realistisch inszeniert und weicht trotzdem deutlich vom Geläufigen ab. Es kommt dabei entscheidend darauf an, sich der Unverständlichkeit von Kafkas Texten auszusetzen und sich zugleich auf deren Komik einzulassen, anstatt der Versuchung nachzugeben, die Erzählungen und Romane entschlüsseln bzw. interpretieren zu wollen (man darf sie also nicht einfach auf Gegebenheiten der Realität zurückführen).

Gelingt das, so kann der damit verbundene ästhetische Reiz genossen werden. Charakteristisch für Franz Kafkas Schreiben sind in diesem Zusammenhang die semantische und syntaktische Offenheit vieler Sätze, die absurden Personifizierungen und erst recht die Fülle an Adjektiven, wodurch die erzählten Situationen überdeterminiert erscheinen.

Es sind vor allem drei Autoren zu nennen, deren Schreibweise großen Einfluss auf Kafka hatte: Heinrich von Kleist, Franz Grillparzer und Gustave Flaubert.

Der Prozess

Der Prozess (1925 postum veröffentlicht) besteht ausschließlich aus Textfragmenten, die Max Brod vernünftig zu ordnen versucht hat, obwohl sie an sich keinen logisch kausal schlüssigen Zusammenhang aufweisen. Auch hier ist eine grundsätzlich metonymische Erzählweise zu konstatieren, indem reale Gegebenheiten ins Absurde verzerrt werden (Josef K. wird verhaftet, aber nicht eingesperrt; das Gericht tagt in einem Dachboden; die Hinrichtung findet auf freiem Feld statt usw.). Die Türhüter-Parabel im Kapitel Vor dem Gesetz kann als Leseanleitung Kafkas verstanden werden: Es kommt darauf an, immer den jeweiligen Text zu respektieren, d. h. ihn beim Wort zu nehmen, anstatt durch Interpretation etwas zu verändern:

»Du hast nicht genug Achtung vor der Schrift und veränderst die Geschichte«.

Bildquelle:

https://www.tagesspiegel.de/berlin/vom-verruckten-ding-zum-welterfolg–wie-die-musik-den-film-gross-raus-brachte-4130983.html


Kafka, Franz: Der Proceß. Kritische Ausgabe. Herausgegeben von Malcom Pasley. Frankfurt am Main 2002 (Franz Kafka: Schriften – Tagebücher. Kritische Ausgabe. Herausgegeben von Jürgen Born, Gerhard Neumann, Malcolm Pasley und Jost Schillemeit), S. 295.

Kafka, Franz: Schriften – Tagebücher:

»Einmal brach ich mir das Bein, es war das schönste Erlebnis meines Lebens.«

[Kafka, Franz: Schriften – Tagebücher. Kritische Ausgabe. Herausgegeben von Jürgen Born, Gerhard Neumann, Malcolm Pasley und Jost Schillemeit. Bd. V,2: Nachgelassene Schriften und Fragmente II. Herausgegeben von Jost Schillemeit. Frankfurt am Main 2002, S. 548.]


Kafka, Franz: Die Verwandlung:

»Sein Zimmer, ein richtiges, nur etwas zu kleines Menschenzimmer, lag ruhig zwischen den vier wohlbekannten Wänden.«

[Kafka, Franz: Die Verwandlung. In: Kafka, Franz: Schriften – Tagebücher. Kritische Aus-gabe. Herausgegeben von Jürgen Born, Gerhard Neumann, Malcolm Pasley und Jost Schille-meit. Bd. I,1: Drucke zu Lebzeiten. Herausgegeben von Wolf Kittler, Hans-Gerd Koch und Gerhard Neumann. Frankfurt am Main 2002, S. 113-200, hier S. 115.]


»Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte.«

[Kafka: Die Verwandlung (Anm. 2), S.115.]


»Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.«

[Ebd.]


» „Was ist mit mir geschehen?“ dachte er. Es war kein Traum.«

[Ebd.]


Kafka, Franz: Gesammelte Werke:

Ein Kommentar (Gibs auf)

»Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich dass es schon viel später war als ich geglaubt hatte, ich musste mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: »Von mir willst Du den Weg erfahren?« »Ja«, sagte ich, »da ich ihn selbst nicht finden kann.« »Gibs auf, gibs auf«, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.«

[Kafka, Franz: Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Nach der Kritischen Ausgabe herausge-geben von Hans-Gerd Koch. Band 8: Das Ehepaar und andere Schriften aus dem Nachlaß in der Fassung der Handschrift. Frankfurt am Main 1994, S. 130.]


Kafka, Franz: Gesammelte Schriften:

»Das eigentlich Komische ist freilich das Minutiöse …«

[Kafka, Franz: Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Max Brod. Band IV: Das Schloss. Roman. Dritte Ausgabe. New York o. J., S. 425.]


Panter, Peter (= Kurt Tucholsky): In der Strafkolonie:

»Ihr müßt nicht fragen, was das soll. Das soll garnichts. Das bedeutet garnichts. Vielleicht gehört das Buch auch garnicht in diese Zeit, und es bringt uns sicherlich nicht weiter. Es hat keine Probleme und weiß von keinem Zweifeln und Fragen. Es ist ganz unbedenklich. Unbedenklich wie Kleist.«

[Panter, Peter (= Kurt Tucholsky): In der Strafkolonie. In: Die Weltbühne. 16. Jahrgang, Erstes Halbjahr 1920, S. 655-657, hier S. 657.]


Kleist, Heinrich: Die heilige Cäcilie, oder die Gewalt der Musik:

»Dabei stand ein Gewitter, dunkelschwarz, mit vergoldeten Rändern, im Hintergrunde des Baus; dasselbe hatte schon über die Gegend von Aachen ausgedonnert, und nachdem es noch einige kraftlose Blitze, gegen die Richtung, wo der Dom stand, geschleudert hatte, sank es, zu Dünsten aufgelöst, misvergnügt murmelnd in Osten herab.«

[Kleist, Heinrich: Die heilige Cäcilie, oder die Gewalt der Musik. In: Kleist, Heinrich von: Erzählungen. Zweyter Theil. Berlin 1811, S. 133-162, hier S. 155.]


Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann:

» »Sie haben« – hob er an – »ohne Zweifel von dem Hofrate – gehört?« Hier nannte er den Namen eines Staatsmannes, der in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts unter dem bescheidenen Titel eines Bureauchefs einen ungeheuren, beinahe ministerähnlichen Einfluß ausgeübt hatte. Ich bejahte meine Kenntnis des Mannes. »Er war mein Vater«, fuhr er fort. – Sein Vater? des alten Spielmanns? des Bettlers? Der Einflußreiche, der Mächtige sein Vater? Der Alte schien mein Erstaunen nicht zu bemerken, sondern spann, sichtbar vergnügt, den Faden seiner Erzählung weiter. »Ich war der mittlere von drei Brüdern, die in Staatsdiensten hoch hinaufkamen, nun aber schon beide tot sind; ich allein lebe noch«, sagte er und zupfte dabei an seinen fadenscheinigen Beinkleidern, mit niedergeschlagenen Augen einzelne Federchen davon herablesend. »Mein Vater war ehrgeizig und heftig. Meine Brüder taten ihm genug. Mich nannte man einen langsamen Kopf; und ich war langsam. Wenn ich mich recht erinnere«, sprach er weiter, und dabei senkte er, seitwärts gewandt, wie in eine weite Ferne hinausblickend, den Kopf gegen die unterstützende linke Hand – »wenn ich mich recht erinnere, so wäre ich wohl imstande gewesen, allerlei zu erlernen, wenn man mir nur Zeit und Ordnung gegönnt hätte. Meine Brüder sprangen wie Gemsen von Spitze zu Spitze in den Lehrgegenständen herum, ich konnte aber durchaus nichts hinter mir lassen, und wenn mir ein einziges Wort fehlte, mußte ich von vorne anfangen. So ward ich denn immer gedrängt. Das Neue sollte auf den Platz, den das Alte noch nicht verlassen hatte, und ich begann stockisch zu werden.«

[Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Grillparzer, Franz: Sämtliche Werke. Ausgewählte Briefe, Gespräche, Berichte. Dritter Band. Herausgegeben von Peter Frank und Karl Pörnbacher. München 1964, S. 146-186, hier S. 158f.]


Kafka, Franz: Wunsch, Indianer zu werden:

»Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf.«

[Kafka, Franz: Wunsch, Indianer zu werden. In: Kafka, Franz: Schriften – Tagebücher. Kritische Ausgabe. Herausgegeben von Jürgen Born, Gerhard Neumann, Malcolm Pasley und Jost Schillemeit. Bd. I,1: Drucke zu Lebzeiten. Herausgegeben von Wolf Kittler, Hans-Gerd Koch und Gerhard Neumann. Frankfurt am Main 2002, S. 32f.]


Gustave Flaubert: An Louise Colet:

»Ce qui me semble beau, ce que je voudrais faire, c’est un livre sur rien, un livre sans attache extérieure, qui se tiendrait de lui-même par la force interne de son style, comme la terre sans être soutenue se tient en l’air, un livre qui n’aurait presque pas de sujet ou du moins où le sujet serait presque invisible, si cela se peut. Les œuvres les plus belles sont celles où il y a le moins de matière […].«

[Gustave Flaubert an Louise Colet, 16. 1. 1852. In: Flaubert, Gustave: Correspondance. Choix et présentation de Bernard Masson. Texte établi par Jean Bruneau. [Paris] 1975, S. 156.]


Kafka, Franz: Der Proceß:

»War noch Hilfe? Gab es Einwände, die man vergessen hatte? Gewiß gab es solche. Die Logik ist zwar unerschütterlich, aber einem Menschen der leben will, widersteht sie nicht. Wo war der Richter den er nie gesehen hatte? Wo war das hohe Gericht bis zu dem er nie gekommen war? Er hob die Hände und spreizte alle Finger.

Aber an K.’s Gurgel legten sich die Hände des einen Herrn, während der andere das Messer ihm ins Herz stieß und zweimal dort drehte. Mit brechenden Augen sah noch K. wie nahe vor seinem Gesicht die Herren Wange an Wange aneinandergelehnt die Entscheidung beobachteten. „Wie ein Hund!“ sagte er, es war, als sollte die Scham ihn überleben.«

[Kafka, Franz: Der Proceß. Kritische Ausgabe. Herausgegeben von Malcom Pasley. Frankfurt am Main 2002 (Franz Kafka: Schriften – Tagebücher. Kritische Ausgabe. Herausgegeben von Jürgen Born, Gerhard Neumann, Malcolm Pasley und Jost Schillemeit), S. 312.]


»Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens gefangen verhaftet.«

[Kafka: Der Proceß (Anm. 14), S.7.]


»Er war fest entschlossen wegzugehn. Aber vor der Tür, als hätte er nicht erwartet, hier eine Tür zu finden, stockte er, diesen Augenblick benützte Fräulein Bürstner sich loszumachen, die Tür zu öffnen, ins Vorzimmer zu schlüpfen und von dort aus K. leise zu sagen: „Nun kommen Sie doch, bitte. Sehn Sie“ − sie zeigte auf die Tür des Hauptmanns, unter der ein Lichtschein hervorkam − „er hat angezündet und unterhält sich über uns.“ „Ich komme schon“, sagte K., lief vor, faßte sie, küßte sie auf den Mund und dann über das ganze Gesicht, wie ein durstiges Tier mit der Zunge über das endlich gefundene Quellwasser hinjagt. Schließlich küßte er sie auf den Hals, wo die Gurgel ist, und dort ließ er die Lippen lange liegen. Ein Geräusch aus dem Zimmer des Hauptmanns ließ ihn aufschauen. „Jetzt werde ich gehn“, sagte er, er wollte Fräulein Bürstner beim Taufnamen nennen, wußte ihn aber nicht. Sie nickte müde, überließ ihm schon halb abgewendet die Hand zum Küssen, als wisse sie nichts davon und gieng gebückt in ihr Zimmer. Kurz darauf lag K. in seinem Bett. Er schlief sehr bald ein, vor dem Einschlafen dachte er noch ein Weilchen über sein Verhalten nach, er war damit zufrieden, wunderte sich aber, daß er nicht noch zufriedener war; wegen des Hauptmanns machte er sich für Fräulein Bürstner ernstliche Sorgen.«

[Kafka: Der Proceß (Anm. 14), S.47f.]


Brod, Max: Franz Kafka. Eine Biographie:

»So zum Beispiel lachten wir Freunde ganz unbändig, als er uns das erste Kapitel des ˃Proceß˂ zu Gehör brachte. Und er selbst lachte so sehr, daß er weilchenweise nicht weiterlesen konnte.«

[Brod, Max: Franz Kafka. Eine Biographie. Dritte, erweiterte Auflage. Frankfurt/M. 1954, S. 217.]


Kafka, Franz: Der Proceß:

»Über diese Treppe trug der Student die Frau hinauf, schon sehr langsam und stöhnend, denn er war durch das bisherige Laufen geschwächt. Die Frau grüßte mit der Hand zu K. hinunter, und suchte durch Auf- und Abziehn der Schultern zu zeigen, daß sie an der Entführung unschuldig sei, viel Bedauern lag aber in dieser Bewegung nicht. K. sah sie ausdruckslos, wie eine Fremde an, er wollte weder verraten, daß er enttäuscht war, noch auch daß er die Enttäuschung leicht überwinden könne.«

[Kafka: Der Proceß (Anm. 14), S.87.]


Kafka, Franz: Der Proceß:

» „Ich habe vor einem Weilchen mit Ihrer Frau gesprochen. Sie ist nicht mehr hier. Der Student hat sie zum Untersuchungsrichter getragen.“ „Sehen Sie“, sagte der Gerichtsdiener, „immer trägt man sie mir weg.“«

[Kafka: Der Proceß (Anm. 14), S.89.]


» „Ich bin aber nicht schuldig“, sagte K., „Es ist ein Irrtum. Wie kann denn ein Mensch überhaupt schuldig sein. Wir sind hier doch alle Menschen, einer wie der andere.“ „Das ist richtig“, sagte der Geistliche, „aber so pflegen die Schuldigen zu reden.“ „Hast auch Du ein Vorurteil gegen mich?“ fragte K. „Ich habe kein Vorurteil gegen Dich“, sagte der Geistliche. „Ich danke Dir“, sagte K., „Alle andern aber, die an dem Verfahren beteiligt sind haben ein Vorurteil gegen mich. Sie flößen es auch den Unbeteiligten ein. Meine Stellung wird immer schwieriger.“ „Du mißverstehst die Tatsachen“, sagte der Geistliche. „Das Urteil kommt nicht mit einemmal, das Verfahren geht allmählich ins Urteil über.“ „So ist es also“, sagte K. und senkte den Kopf.«

[Kafka: Der Proceß (Anm. 14), S.289.]


»Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen. ‚Es ist möglich‘, sagt der Türhüter, ‚jetzt aber nicht.‘«

[Kafka: Der Proceß (Anm. 14), S.292.]


» ‚Alle streben doch nach dem Gesetz‘, sagt der Mann, ‚wie so kommt es, daß in den vielen Jahren niemand außer mir Einlaß verlangt hat?‘ Der Türhüter erkennt, daß der Mann schon am Ende ist und um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen brüllt er ihn an: ‚Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für Dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.‘«

[Kafka: Der Proceß (Anm. 14), S.294f.]


» „Der Türhüter hat also den Mann getäuscht“, sagte K. sofort, von der Geschichte sehr stark angezogen. „Sei nicht übereilt“, sagte der Geistliche, „übernimm nicht die fremde Meinung ungeprüft. Ich habe Dir die Geschichte im Wortlaut der Schrift erzählt. Von Täuschung steht darin nichts.“ „Es ist aber klar“, sagte K., „und Deine erste Deutung war ganz richtig. Der Türhüter hat die erlösende Mitteilung erst dann gemacht, als sie dem Manne nichts mehr helfen konnte.“ „Er wurde nicht früher gefragt“, sagte der Geistliche, „bedenke auch daß er nur Türhüter war und als solcher hat er seine Pflicht erfüllt.“«

[Kafka: Der Proceß (Anm. 14), S.295.]


» „Du hast nicht genug Achtung vor der Schrift und veränderst die Geschichte“, sagte der Geistliche.«

[Ebd.]


» „Du musst nicht zuviel auf Meinungen achten. Die Schrift ist unveränderlich und die Meinungen sind oft nur ein Ausdruck der Verzweiflung darüber.“«

[Kafka: Der Proceß (Anm. 14), S.298.]


»Da das Tor zum Gesetz offensteht wie immer und der Türhüter beiseite tritt, bückt sich der Mann, um durch das Tor in das Innere zu sehn. Als der Türhüter das merkt, lacht er und sagt: ‚Wenn es Dich so lockt, versuche es doch trotz meines Verbotes hineinzugehn. Merke aber: Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter. Von Saal zu Saal stehn aber Türhüter einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann nicht einmal ich mehr ertragen.‘«

[Kafka: Der Proceß (Anm. 14), S.292f.]


Tieck, Ludwig: Der gestiefelte Kater:

»Ein Amtmann tritt mit vielen Bücklingen herein.
Amtmann. Geruhen Sie, – gnädiger Herr – ich –
Popanz. Was ist Ihm, mein Freund?
Amtmann. Mit Ihrer gütigsten Erlaubnis, ich zittre und bebe vor Dero furchtbaren Anblick.
Popanz. O, das ist noch lange nicht meine entsezlichste Gestalt.«

[Tieck, Ludwig: Der gestiefelte Kater, ein Kindermärchen in drey Akten mit Zwischenspielen, einem Prologe und Epiloge von Peter Leberecht. Berlin 1797, S. 130.]


»Der Popanz steht als Rhinozeros da, ein armer Bauer vor ihm.
Bauer. Geruhn Ihro Gnaden, –
Popanz. Gerechtigkeit muß seyn, mein Freund.
Bauer. Aber ich kann jezt noch nicht zahlen.
Popanz. Aber er hat doch den Prozeß verlohren; das Gesez fordert Geld und seine Strafe, sein
Gut muß also verkauft werden: es ist nicht anders und das von Rechtswegen.
(der Bauer geht ab.)
Popanz. (der sich wieder in einen ordentlichen Popanz verwandelt.) Die Leute würden sonst
allen Respekt verliehren, wenn man sie nicht so zur Furcht zwänge.«

[Tieck: Der gestiefelte Kater (Anm. 27), S.129f.]


Adorno, Theodor W.: Aufzeichnungen zu Kafka:

»Jeder Satz spricht: deute mich, und keiner will es dulden.«

[Adorno, Theodor W.: Aufzeichnungen zu Kafka. In: Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften. Band 10/1: Kulturkritik und Gesellschaft I. Herausgegeben von Rolf Tiedemann. Frankfurt/Main 1977, S. 254-287, hier S. 255.]


Kafka, Franz: Der Proceß:

»Sie sind zwar verhaftet, aber nicht so wie ein Dieb verhaftet wird. Wenn man wie ein Dieb verhaftet wird, so ist es schlimm, aber diese Verhaftung −. Es kommt mir wie etwas Gelehrtes vor, entschuldigen Sie wenn ich etwas Dummes sage, es kommt mir wie etwas Gelehrtes vor, das ich zwar nicht verstehe, das man aber auch nicht verstehen muß.«

[30 Kafka: Der Proceß (Anm. 14), S.33.]


Kafka, Franz: Tagebücher:

»In mir kann ganz gut eine Koncentration auf das Schreiben hin erkannt werden. Als es in meinem Organismus klar geworden war, daß das Schreiben die ergiebigste Richtung meines Wesens sei, drängte sich alles hin und ließ alle Fähigkeiten leer stehn, die sich auf die Freuden des Geschlechtes, des Essens, des Trinkens, des philosophischen Nachdenkens der Musik zu allererst richteten. Ich magerte nach allen diesen Richtungen ab. Das war notwendig, weil meine Kräfte in ihrer Gesamtheit so gering waren, daß sie nur gesammelt dem Zweck des Schreibens halbwegs dienen konnten.«

[Kafka, Franz: Tagebücher. Herausgegeben von Hans-Gerd Koch, Michael Müller und Malcom Pasley. Frankfurt am Main 2002 (Franz Kafka: Schriften – Tagebücher. Kritische Ausgabe. Herausgegeben von Jürgen Born, Gerhard Neumann, Malcolm Pasley und Jost Schillemeit), S. 341.]