Der Erste Weltkrieg in der Literatur – ein forschendes Lernprojekt
Als ‚Urkatastrophe‘ markiert der Erste Weltkrieg den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umbruch zum Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa und hat als Ereignis mit globaler Tragweite wie kaum ein anderes zuvor den Kulturbetrieb geprägt.
Literatur und Weltkrieg
Zur Rolle der Literatur in Ersten Weltkrieg hält Nicolas Detering fest: „Literatur reflektierte die ideologische Ursachenkonfigurierung des Krieges, bejubelte seinen Ausbruch und befeuerte die militärische Mobilmachung, dokumentierte, ästhetisierte und idealisierte seinen Verlauf, kanalisierte seine Deutungsmöglichkeiten und stellte das wirkmächtigste Medium für frontsoldatische Kriegserinnerungen und Sinnzuschreibungen in der Nachkriegszeit dar.“
Der inoffizielle ‚Kanon‘ der Weltkriegsliteratur beschränkt sich hierbei vorrangig auf wenige Titel: Zu nennen sind neben expressionistischer (Anti-)Kriegslyrik (u.a. von August Stramm und Georg Trakl) im Wesentlichen Romane aus den 1920er Jahren. Während und nach dem Krieg sind allerdings eine Vielzahl weiterer literarischer Werke wie Schlump (1928) von Hans Herbert Grimm oder Heeresbericht (1930) von Edlef Koeppen erschienen, die inzwischen kaum mehr bekannt sind oder erst seit Kurzem wieder ins allgemeine Gedächtnis zurückgekehrt sind.
Zum Projekt
Inhaltlich nimmt diese Seminarreihe zum forschenden Lernen die gesamte Bandbreite der deutschsprachigen Weltkriegsliteratur in den Blick: Auf den Seminarplänen stehen demnach sowohl heutzutage noch ausgiebig rezipierte literarische Texte aller Gattungen als auch Titel, die aus unterschiedlichen Gründen aktuell kaum noch bekannt sind.
Ein erstes Seminar beschäftigte sich mit dem Roman in der Weimarer Republik, in einem zweiten ging es dann um die Lyrik und Lyrik-Anthologien, die vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg veröffentlicht wurden. Im dritten Seminar der Reihe standen Weltkriegsdramen auf dem Seminarplan.
Während des Semesters ordnen die Studierenden ordnen im Zuge der Beschäftigung mit den Primärtexten sowohl die Ergebnisse der jüngeren Forschung ein, verfolgen aber auch eigene aus textanalytischen Zugängen heraus entwickelte Thesen. Im Anschluss an das Seminar werden die Ergebnisse mit dem Ziel der Wissenschaftskommunikation über das Thema Weltkriegsliteratur jeweils in kurzen Video-Referaten zugänglich gemacht.
Wissenschaftlich begleitet wird die Projektreihe von Dr. Nikolas Buck und Dr. Simon Hansen.
Romane der Weimarer Republik
Im Fokus des ersten Seminars zur Weltkriegsliteratur im Wintersemester 2020/21 stand der Weltkriegsroman der Weimarer Republik. In insgesamt sechs Arbeitsphasen haben sich die beteiligten Studierenden mit Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues, Ernst Jüngers In Stahlgewittern, Ernst Glaesers Jahrgang 1902, Ludwig Renns Krieg, Edlef Köppens Heeresbericht sowie Alfred Döblins bereits während des Krieges entstandener Erzählung Die Schlacht, die Schlacht! beschäftigt.
Inhaltlich unterstützt wurde das Seminar von PD. Dr. Thomas F. Schneider vom Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrum in Osnabrück.
Zu den einzelnen Videovorträgen: (auf Titel klicken)
Futurismus und Weltkrieg - Alfred Döblin Die Schlacht, die Schlacht! (1917)
Zum Roman:
Alfred Döblin wurde am 10. August 1878 in Stettin (Polen, Westpommern) geboren und starb am 26. Juni 1957. Nach seinem Abitur studierte Döblin Medizin und wurde daraufhin Assistenzarzt in der Psychiatrie. Als im Jahre 1914 der Krieg begann, meldete sich Alfred Döblin als Freiwilliger zum Dienst, um nicht zwangseinberufen zu werden. Alfred Döblin wurde anschließend als Lazarettarzt an der Westfront eingesetzt und war somit selber Kriegsteilnehmer.
Die Erzählung Die Schlacht, die Schlacht! ist im Jahre 1915 entstanden und wurde dann im Jahre 1917 im Rahmen des Erzählbandes Die Lobensteiner reisen nach Böhmen veröffentlicht. In der Entstehungszeit der Erzählung gruben sich die Truppen im Westen immer mehr ein, sodass die Frontlinie mit Schützengräben bis zu 700 km lang war. Die Westfront, an welcher sich auch Döblin befand, war zu der Zeit den massiven Angriffen der Alliierten ausgesetzt. Denn insbesondere Frankreich hatte ein großes Interesse daran, die Deutschen so schnell wie möglich aus den besetzten Gebieten zu vertreiben. Das Jahr 1917 brachte in Deutschland zum einen große Kriegsmüdigkeit mit sich und zum anderen auch neue Hoffnung auf den Sieg, auf beiden Seiten der Front. Als dann jedoch die USA Deutschland im Jahre 1917 den Krieg erklärten, wurde der Sieg immer unwahrscheinlicher und die Hoffnung auf den Sieg verschwand. Zu der Zeit gab es schon unermessliche Verluste an Menschenleben und die Mittelmächte sahen irgendwann ein, dass sie unterlegen waren und gegen die anderen Mächte nicht standhalten konnten. In diese Zeit fällt auch die Veröffentlichung von Döblins Die Schlacht, die Schlacht!
„Ästhetik des Schreckens“? - Ernst Jüngers In Stahlgewittern (1920)
Zum Roman:
Ernst Jünger wurde am 29.03.1895 in Heidelberg geboren, wuchs in Hannover auf und starb 103 Jahre später am 17.02.1998 in Riedlingen. Wie die meisten seiner Schulkameraden meldete er sich Anfang August 1914, als der 1. Weltkrieg ausbrach, mit 19 Jahren freiwillig zum Militärdienst. Während des Krieges nahm er an mehreren Schlachten teil, bei denen er mehrfach Verwundungen erlitt. Bereits nach kurzer Zeit ernannte man ihn im November 1915 zum Leutnant, schließlich stieg er zum Kompanieführer auf und wurde daraufhin immer wieder als Patrouillen- und Stoßtruppführer eingesetzt. Man zeichnete ihn mit mehreren Orden aus, zuletzt mit dem „Pour le Mérite“.
Das Werk In Stahlgewittern basiert auf den Tagebuchaufzeichnungen Jüngers, die aus 15 Notizbüchern mit rund 1800 Seiten, teils stichwortartig, teils in ausformulierten Passagen, bestehen. Diese Notizen verarbeitete er kurze Zeit nach dem Krieg zu einem Buch. Über das letzte Jahrhundert wurden von ihm selbst allerlei Überarbeitungen vorgenommen, weswegen es sieben Fassungen des Textes gibt. In Stahlgewittern lässt sich sowohl affirmativ, neutral, oder auch als Antikriegsroman lesen.
Weltkriegs-Bestseller - Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues (1928)
Zum Roman:
Im Westen nichts Neues wurde im Jahre 1928 zunächst als Fortsetzungsroman in der Vossischen Zeitung publiziert. Zuvor wurde das Manuskript unter anderem vom Fischer Verlag mit der Begründung abgelehnt, dass es für Kriegsliteratur keinen nennenswerten Markt mehr gäbe.
Dies war auch im Groben richtig – nach zehn Jahren Weltkriegsliteratur war Remarque sicherlich etwas spät dran, denn die Anzahl der Publikationen dieses Genres ging immer weiter zurück. Remarque fand schließlich beim Ullstein-Verlag eine Möglichkeit zur Publikation, allerdings war diese an zweierlei Bedingungen geknüpft. Erstens: Kriegskritische Statements sollten entfernt werden. Zweitens: Im Zuge der Marketing-Kampagne für das Buch hatte Remarque sich einer marketingfähigen, vom Verlag überarbeiteten Version seiner Biografie anzupassen und diese vor den Medien zu vertreten.
Die Perspektive der Heimat - Ernst Glaesers Jahrgang 1902 (1928)
Zum Roman:
Der Roman Jahrgang 1902 wurde 1928 von Ernst Glaeser veröffentlicht, rasch ein internationaler Erfolg und in mehrere Sprachen übersetzt. Obwohl der Roman viel Zuspruch erhielt, wurde er aufgrund der offenen Thematisierung der Sexualität und der Darstellung gesellschaftlicher Missstände im Jahr 1933 von den Nationalsozialisten verbrannt. Glaeser verlässt daraufhin Deutschland und knüpft in der Schweiz Kontakte zu anderen Exilautoren. Gleichzeitig arbeitet Glaeser aber auch an seiner Rückkehr nach Deutschland und biedert sich dementsprechend auch den Nationalsozialisten an, was sich insgesamt als opportunistische Haltung verdächtig macht.
Sein Romandebüt Jahrgang 1902 thematisiert die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und die Generationskonflikte am Anfang des 20. Jahrhunderts. Vor allem geht es um die Kindergeneration, die selbst noch zu jung ist, um an der Front zu kämpfen und sich deshalb nur schwer ein realistisches Bild vom Krieg machen kann. Der Protagonist E. steht im Zentrum einer Kindergruppe, die sich die Rote Garde nennt. Die anfängliche Euphorie zu Kriegsbeginn weicht schnell einer Ernüchterung, was durch das Verhalten der Figuren erkennbar wird.
Die Sachlichkeit des Krieges - Ludwig Renns Krieg (1928)
Zum Roman:
Ludwig Renn wird am 22. April 1889 in Dresden als Arnold Friedrich Vieth von Golßenau geboren. Sein Vater ist Mathematikprofessor und Erzieher am sächsischen Königshof, sodass von Golßenau bereits in seiner Jugend Kontakte zum militärischen Adel des Kaisertums aufbaut. Diesem bleibt er auch während seines ab 1910 bestrittenen Militärdienstes treu, sodass er während seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg bis in den Rang eines Kompanieführers aufsteigen kann.
Nach dem Krieg wendet sich Golßenau aufgrund des Kapp-Putsches von der Weimarer Reichswehr ab und beginnt ein breitgefächertes Studium in München. Nach seinen Studienjahren, in welchen er sowohl Europa als auch Asien intensiv bereist, erscheint 1928 sein Antikriegsroman mit dem schlichten Titel Krieg. Der Roman wird ein Erfolg und sein literarischer Durchbruch. Bis zum Ende der Weimarer Republik bleibt Krieg hinter Remarques Im Westen nichts Neues auflagenstärkster Vertreter der Antikriegsliteratur.
Ein Schelm im Weltkrieg - Hans Herberts Grimms Schlump (1928)
Zum Roman:
Im Jahr 1928 wurde nicht nur Remarques Im Westen nichts Neues veröffentlicht, sondern auch der Roman Schlump von Hans Herbert Grimm. Beide Romane spielen zur Zeit des Ersten Weltkriegs an der Westfront, beide wurden von Autoren geschrieben, die selbst als Soldaten im Krieg gekämpft haben.
Die Rezeption der Romane verlief jedoch unterschiedlich: Remarques Im Westen nichts Neues wurde zu einem der erfolgreichsten Bücher des 19. Jahrhunderts – Schlump hingegen verkaufte sich nur mehrere tausend Male. Anders als Remarques Im Westen nichts Neues, der weltweit zum pazifistischen Mahnmal gegen den Krieg avancierte, wurde Grimms Schlump nach dem Zweiten Weltkrieg wie viele andere verbrannte Bücher vergessen.
Warum verlief die Rezeption der beiden Romane so unterschiedlich? Um eine Antwort auf diese Frage geben zu können, sollen im Folgenden die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede der beiden Romane näher betrachtet werden.
Im Spannungsfeld von Propaganda und Wahrheit - Edlef Köppens Heeresbericht (1930)
Zum Roman:
Edlef Köppen kämpfte nach angefangenem Studium bis Oktober 1918 im preußischen Heer und wurde mehrfach verwundet. Er entwickelte sich über die Kriegsdauer hinweg zum überzeugten Pazifisten, und weigerte sich schließlich, weiterzukämpfen, was eine Zwangsinternierung in einer Nervenklinik nach sich zog. SNAch seinem Studium arbeitete Koeppen fürr den ersten deutschen Rundfunksender “Funk-Stunde Berlin“. Sein Roman Heeresbericht wurde 1930 veröffentlicht, und später vom NS-Regime sowohl verbrannt (1933) als auch verboten (1935).
Adolf Reisiger, Student und Kriegsfreiwilliger, wird 1914 an der Westfront bei der Feldartillerie eingesetzt. Nach einer Verwundung wird er an die Ostfront versetzt, nur um nach dem Friedensschluss mit Russland wieder an der Westfront in vergeblichen Offensiven zu kämpfen. Er wird mehrfach und bis zum Leutnant der Reserve befördert. Im Verlauf des Krieges realisiert der zunächst überzeugte Reisiger, dass der Krieg zunehmend sinnlos wird. Kurz vor Kriegsende verweigert er den weiteren Kriegsdienst und wird in eine Nervenheilanstalt eingewiesen.
Charakteristisch für den Roman ist, dass unter anderem Tageszeitungsausschnitte, offizielle Berichterstattungen, Kaiserreden und Reklameauszüge einmontiert und somit der Romanhandlung gegenübergestellt werden. Bei den einmontierten Dokumenten handelt es sich in großen Teilen um Originaldokumente.
Lyrik im Ersten Weltkrieg
Durch seine Kürze und rasche Verbreitungsmöglichkeit, seiner Sangbarkeit und Rhythmisierung diente vor allem das Gedicht als populäre Form der Weltkriegsliteratur dazu, den Ersten Weltkrieg zu thematisieren und erfahrbar zu machen.
Im zweiten Projektseminar der Reihe Die Literatur des Ersten Weltkriegs (Wintersemester 2022/23) beschäftigten sich 30 Studierende des dritten Studienjahres unter der Perspektive des forschenden Lernens mit Lyrik-Anthologien, die in zeitlicher Nähe zum Ersten Weltkrieg erschienen sind: Zum Untersuchungsgegenstand gehörten die bereits 1912 herausgegebene Anthologie Der Kondor, ebenso die Menschheitsdämmerung (1919) oder die Sammlung Vermächtnis (1930), die die Erinnerungskultur der späten Weimarer Republik repräsentiert.
Nicht nur zeitlich, auch inhaltlich decken die untersuchten Gedichtsammlungen dabei ein weites Spektrum zwischen Kriegsaffirmativität und Pazifismus, zwischen Popularität (Soldatenlied) und literarischem Anspruch (Expressionismus, Neue Sachlichkeit) ab.
Zum Seminar
Während des Semesters erstellten die Studierenden nach einer thematischen und methodischen Einführung zur Weltkriegslyrik selbstständig in Kleingruppen Vorträge zu jeweils einer Lyrik-Anthologie.
Diese wurden in zwei Schritten innerhalb der Seminargruppe präsentiert, diskutiert und im Anschluss jeweils präzisiert. Die Ergebnisse der eigenen Forschungsarbeiten wurden zum Ende dann zu umfangreichen Video-Referaten ausgearbeitet.
Inhaltlich unterstützt wurde das Seminar vom Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrum in Osnabrück und von Prof. Dr. Nicolas Detering von der Universität Bern.
Zu den einzelnen Videovorträgen: (auf Titel klicken)
Der Kondor (1912)
Zur Anthologie:
Der Kondor erschien 1912 im Richard Weissbach Verlag in Heidelberg als Lyrik-Anthologie des frühen Expressionismus. Herausgeber war Kurt Hiller: Pazifist, Jude, Sozialist und Antifaschist. Er war zudem einer der bedeutendsten Vertreter des literarischen Expressionismus. Gemeinsam mit Jakob van Hoddis gründete Hiller 1909 den ‘Neuen Club‘. Mitglieder des Clubs waren u.a. Georg Heym und Ernst Blass. Der Club war als Plattform für zeitgenössische Dichter, die noch eher unbekannt waren, wichtig, insbesondere für die Entwicklung Heyms.
In dieser Anthologie finden sich trotz des Zerwürfnisses Hillers mit seinem Gründungskollegen Jakob van Hoddis auch viele Gedichte ehemaliger Mitglieder und Vortragende des ‚Neuen Clubs‘. Mit der Veröffentlichung des Kondors verfolgte Hiller das vorrangige Ziel, eine Anthologie der Großstadtlyrik zu erstellen. Insgesamt sind im Kondor 97 Gedichte von 14 Autoren zu finden, neben Georg Heym und Ernst Blass u.a. von Ferdinand Hardekopf, Else Lasker-Schüler, Franz Werfel und auch von Kurt Hiller selbst. Die Veröffentlichung der Anthologie fällt in die Epoche des (Früh-)Expressionismus, die geprägt ist von einem antibürgerlichen und antinationalistischen Denken. Der Krieg ist noch zwei Jahre entfernt, es herrscht jedoch bereits eine wachsende Konfliktsituation innerhalb Europas.
Der deutsche Krieg im deutschen Gedicht (1914)
Zur Anthologie:
Der deutsche Krieg im deutschen Gedicht ist eine in Serie erschienene Gedichtsammlung des deutschjüdischen Dramatikers, Kritikers und Kulturfunktionärs Julius Bab. Der erste Teil der Anthologie mit dem Untertitel „Aufbruch und Anfang“ wurde bereits im Jahr 1914 veröffentlicht. Das zwölfte und letzte Heft mit dem Untertitel „Das Ende“ erschien 1918. Neben den Heften wurde die Anthologie auch in zwei Sammelbänden veröffentlicht. Hierbei wird die Unterteilung in die einzelnen Hefte aufgebrochen und die Gedichte, die getrennt veröffentlicht wurden, unter thematischen Gesichtspunkten neu geordnet. Wichtig zu erwähnen ist, dass zu Beginn des Ersten Weltkriegs selbst „harmlose Bürger und schwache Dilettanten“ (so Thomas Taterka) zu Dichtern wurden und in dieser Anthologie neben erfahrenen Lyrikern vertreten sind. Nach Taterka war es Babs Ziel, durch seine Anthologie sowohl eine „lückenlose Verschronik der Ereignisse“ als auch die „Sichtbarkeit des innersten Lebenskerns des handelnden Volkes“ zu präsentieren.
Die Sammlung von Lyrik eignete sich hierfür, da zu Beginn des Krieges eine riesige Flut an Kriegsgedichten entstand, welche erst Ende 1917 abebbte. Bab wollte ein Panorama der gesamten Kriegslyrik seiner Zeit erstellen. Er ließ sich somit nicht von „geschmacklichen und ideologischen Vorlieben“ (so Taterka) leiten, sondern griff auch Gedichte auf, die er nicht mochte oder gar verachtete.
Die Tat-Bücher für Feldpost (1914/1915)
Zur Anthologie:
Der Diederichs Verlag unter der Leitung von Eugen Diederich publizierte von April 1909 bis 1938 in Jena die Monatszeitschrift Die Tat, welche unterschiedliche Gedichte beinhaltete. Zwischen 1914 und 1915 wurden die Hefte Der heilige Krieg, Der Kampf, Die Heimat und Sieg oder Tod herausgebracht, welche den Gegenstand dieses Vortrages bilden. Diese Hefte umfassen Lyrik, welche sich unter anderem mit den Geschehnissen des Ersten Weltkriegs, glorifiziertem Heldentum und Kriegs-Affirmation beschäftigen.
Alte und neue Kriegslieder. Für den Schulgebrauch gesammelt (1915)
Zur Anthologie:
Die Anthologie Alte und neue Kriegslieder für den Schulgebrauch richtet ihr Augenmerk auf diese Verbindung aus Kriegspropaganda und Liedern für den Unterricht. Wie der Herausgeber Dr. Johannes Radtke selbst in dem Vorwort zur zweiten Auflage schreibt, ist es die Intention dieser Anthologie, dass die Jugendlichen „die Geschichte des Weltkrieges in Liedern und Gedichten [mit]erleben“ und man es zudem den Soldaten an der Front schuldig sei, ihre Taten mit Hilfe von Kriegsliedern und –Gedichten zu ehren.
Erstmals erschien die Anthologie zum Kriegsbeginn 1914 zusammen mit einem Erlass des Kaisers, welcher als eine Art Vorwort für die Anthologie fungiert. Wie hochfrequent diese Anthologie für den Schulgebrauch verwendet wurde, spiegelt sich in den insgesamt 13 Auflagen wider, die bis 1917 publiziert wurden. Damit gehört diese Anthologie nach Angaben Lemmermanns zu einer der „am meisten benutzten Sammlungen dieser Zeit“ im Schulgebrauch. Mit 30 Pfennig pro Heft war die Anthologie zudem für die breite Masse und insbesondere für die Schulen erschwinglich.
Die Ausrichtung auf den Schulgebrauch wird auch im Inhaltsverzeichnis der Anthologie ersichtlich. Die aus Zeitungen, Zeitschriften und anderen Sammelwerken zusammengestellten Gedichte werden neben einer alphabetischen Auflistung zudem nach ihrem Gebrauch für die jeweilige Klassenstufe (Unter-, Mittel- und Oberstufe) eingeteilt. Die Anthologie umfasst insgesamt 120 Gedichte.
Insgesamt lassen sich alle Gedichte und Lieder dieser Anthologie als kriegsaffirmativ und patriotisch kennzeichnen. Auch in den neueren Gedichten von 1914 ist die Kriegseuphorie des August 1914 klar zu erkennen. Wenn die Brutalität des Krieges und insbesondere des Ersten Weltkriegs dargestellt wird, so wird diese durch Patriotismus und das Versprechen auf den Heldentod stets überlagert. Auch an solchen Stellen kann also von keiner kriegskritischen oder gar pazifistischen Haltung der Autor*innen die Rede sein.
Verse vom Schlachtfeld. In: Die Aktion (1914-1918)
Zur Anthologie:
Die Verse vom Schlachtfeld sind eine Rubrik in der expressionistischen Zeitschrift Die Aktion und bestehen aus einem Textkonvolut von genau 100 Gedichten, welche von 1914-1918 veröffentlicht wurden. Die Aktion gilt als eine der prägendsten Zeitschriften der expressionistischen Bewegung. Inmitten einer Zeit überströmender Kriegseuphorie und kriegsaffirmativer, vitalistisch geprägter Literatur stellten die Inhalte der Aktion eine der wenigen Oppositionen mit antimilitaristischer, pazifistischer Zielsetzung dar.
Dass die Zeitschrift trotz zensurrechtlicher Probleme der damaligen Zeit kontinuierlich publizieren konnte, besonders im Hinblick auf ihre kritischen Inhalte, ist nicht zuletzt auf den Herausgeber der Aktion Franz Pfemfert zurückzuführen.
Als es 1911 zum Bruch mit dem Verleger des Demokraten kam, beschloss Pfemfert seine eigene Zeitschrift, Die Aktion, herauszubringen. Laut Thomas Rietzschel nutzte Pfemfert die Aktion bis zum Kriegsbeginn zur Verbreitung frühexpressionistischer Lyrik und seiner unverhohlenen politischen Kampfansagen.
Menschheitsdämmerung. Symphonie jüngster Dichtung (1919)
Zur Anthologie:
„Die Poesie unserer Zeit ist gleichzeitig Ende und Anfang.“ – Das schrieb Kurt Pinthus 1919 im Vorwort zu seiner expressionistischen Gedichtanthologie Die Menschheitsdämmerung.
Kurt Pinthus war ein deutscher Schriftsteller und Journalist. Er gilt als Vermittler und Vorreiter des literarischen Expressionismus in Deutschland, wodurch er stets im Kontakt zu anderen bekannten Autoren, wie beispielsweise Johannes R. Becher, Franz Kafka, Kurt Hiller usw., stand. Einige dieser Bekanntschaften nahm er auch in die Anthologie mit auf.
Die Menschheitsdämmerung erschien erstmals 1919 und wurde, zunächst mit dem Untertitel „Symphonie jüngster Dichtung“ und 1959 mit dem Untertitel „Ein Dokument des Expressionismus“, herausgegeben.
Der Forschungsstand zur Menschheitsdämmerung ist besser als bei allen anderen Lyrikanthologien der Zeit. Das liegt daran, dass das Werk als Standardwerk des literarischen Expressionismus gilt bzw. dessen Wahrnehmung als Epoche bzw. Strömung wesentlich mitgeprägt hat. Als Beleg für das große Interesse an dieser Anthologie ist anzuführen, dass bereits 1920 schon drei Auflagen mit einer Höhe von jeweils 5.000 Exemplaren erschienen sind.
Vermächtnis. Dichtungen, letzte Aussprüche und Briefe der Toten des Weltkrieges (1930)
Zur Anthologie:
Die Anthologie Vermächtnis wurde 1930 von Edwin Redslob herausgegeben. Redslob lebte von 1884 bis 1973 und war ein deutscher Kunsthistoriker und Kulturpolitiker. Ab 1920 war er Reichskunstwart und bekleidete dieses Amt bis 1933. Er hatte die Absicht, selber im Ersten Weltkrieg zu kämpfen und meldete sich freiwillig, jedoch blieb ihm der Kriegsdienst aufgrund von mehreren Krankheiten verwehrt. Als Redslob in der Weimarer Republik das Amt des Reichskunstwartes bekleidete, spielte die Erinnerungskultur an den Ersten Weltkrieg eine bedeutende Rolle. Die Zeit der Republik war von Identitätskrisen geprägt, die zum Ende hin wieder in ein starkes Wir-Bewusstsein mündeten und schließlich in den Nationalsozialismus. Redslob selber distanzierte sich vom Nationalsozialismus, in der Folge wurde ihm sein Amt entzogen.
Die von ihm herausgegebene Anthologie umfasst auf insgesamt 178 Seiten ein Vorwort sowie über 130 Gedichte, Briefe bzw. Briefauszüge. Diese stammen hauptsächlich von gefallenen Frontsoldaten, was bereits am Titel erkennbar wird.
Die Anthologie erschien mit dem Jahre 1930 erst 12 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Bis auf wenige Ausnahmen wurden die meisten Texte während des Krieges geschrieben, wodurch der gesamte Kriegsverlauf abgedeckt wird.
Dramatik zum Ersten Weltkrieg
Die Darstellung von Krieg auf dem Theater bringt, wie Martin Baumeister feststellt, einige grundsätzliche Schwierigkeiten mit sich: „auf der einen Seite ideale Kunst und leichte Unterhaltung, auf der anderen blutiger Ernst und zerstörerische Gewalt. Im Ersten Weltkrieg zeigten sich diese Gegensätze wie nie zuvor voller Spannungen und Ambivalenzen“.
In diesem Projektseminar haben wir mit Blick auf die verschiedenen Funktionalisierungen die gesamte Bandbreite der Dramatik zum Ersten Weltkrieg in den Blick genommen: vom propagandistisch-trivialen „Immer feste druff“-Stück aus dem Selbstverlag, über futuristische und kriegskritische Dramen bis hin zum Neuen Volksstück innerhalb der Weimarer Republik.
An eine Thematisierung kontextueller, literaturhistorischer und wissenschaftstheoretischer Grundsatzfragen zu Beginn des Seminars schloss sich eine Erarbeitungsphase zu Autoren, Formen sowie literarischen Strömungen der Weltkriegsdramatik an. Diese Arbeit mündete in eine zweite Arbeitsphase, in der die Studierenden in Gruppen selbstständig Präsentationen zu einem selbst gewählten Thema erstellten, die dann im Plenum besprochen und anschließend zu diesen Video-Vorträgen ausgearbeitet wurden.
Wissenschaftlich unterstützt wurden wir in diesem Semester von Dr. Andreas Dorrer von der Universität Melbourne.
Zu den einzelnen Videovorträgen: (auf Titel klicken)
Georg Kaiser - Die Gas-Trilogie (1917-1920)
Zum Drama:
Obwohl seine Stücke heute kaum noch aufgeführt werden, war Georg Kaiser zwischen 1917 und 1933 der erfolgreichste und meistgespielte Dramatiker in Deutschland sowie ein wichtiger Vertreter des Expressionismus. Seine Stücke wurden auch im restlichen Teil Europas, in Russland, New York und Sydney inszeniert. 1878 in Magdeburg geboren, starb er kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges im Juni 1945 im Exil in Ascona.
Kaiser verfasste neben einigen Kurzgeschichten, Gedichten und Romanen circa 70 Dramen. Die Dramen Die Koralle, Gas und Gas II erschienen in den Jahren zwischen 1917 und 1920 im Gustav Kiepenheuer Verlag. Obwohl sie vom Autor selbst nie zu einer Trilogie zusammengefasst wurden, werden die drei Stücke aufgrund ihres aufeinander aufbauenden Inhaltes als solche verstanden und behandelt.
In den nachfolgenden Betrachtungen sollen vor dem Hintergrund der Weltkriegsthematik vor allem die beiden Gas-Teile Beachtung finden, da Die Koralle keinen direkten Bezug darauf aufweist.
Lion Feuchtwanger - Die Kriegsgefangenen (1919)
Zum Drama:
Lion Feuchtwangers Drama Die Kriegsgefangenen entstand im Jahr 1917 und wurde erstmalig, nachdem es zuerst der direkten Zensur unterlag, 1919 in den Druck gegeben. In diesem Drama geht es um Mechthild, die Tochter eines preußischen Barons, die im Zwiespalt der Liebe steht. Mechthild ist einem Oberleutnant namens Rudolf versprochen, jedoch verliebt sie sich während seiner Abwesenheit im Krieg in den französischen Kriegsgefangenen Gaston. Die Konstellation ist in diesem Punkt gänzlich dem Romeo-und-Julia-Motiv nachempfunden, wobei die Liebe im Widerspruch zum idealistischen nationalchauvinistischen Bild steht, welches in den Köpfen der meisten Menschen zu dieser Zeit herrschte.
Das Interesse der Ausführungen in Videovortrag liegt in der Frage, inwiefern die Frauenrollen als Heimgebliebene in dem Drama konzipiert werden und wie dies im Verhältnis zum damaligen Gesellschaftsbild steht. Dafür werden die unterschiedlichen Positionen und Perspektiven der Figuren, Heimgebliebene und Heimkehrer, innerhalb des Dramas untersucht und gegenübergestellt. Die Gegenüberstellung der männlichen Figuren zu den weiblichen Figuren findet in folgender Reihenfolge statt, da sie für die Kontextualisierung relevant ist und damit verbunden ein besseres Verständnis zu den unterschiedlichen Haltungen der Figuren ermöglicht werden kann.
Ernst Toller - Hinkemann (1923)
Zum Drama:
1923 wurde das Werk erstmals unter dem Titel “Der deutsche Hinkemann” veröffentlicht. Die Premiere dieses Heimkehrerstücks fand am 19. September 1923 im Alten Theater Leipzig statt, inszeniert von Alwin Kronacher.
Tollers Dramen entstanden teilweise während, zum Großteil aber nach dem Ersten Weltkrieg, weshalb diese sich zumeist direkt auf diesen beziehen oder Aspekte der Gesellschaft zu dieser Zeit besonders in den Vordergrund stellen. Das Werk Hinkemann kann als Gegenpol zu Tollers früheren stark expressionistisch geprägten Dramen eingeordnet werden. Sein gesamtes Werk zeichnet sich durch die darin enthaltene Kritik an Gesellschaft und Krieg aus.
Besagte Werke gehörten später aufgrund dieser Kritik und der Herkunft Tollers nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zur Liste der als ‚undeutsch‘ deklarierten ‚verbrannten Bücher‘.