Vorlesung: Die Literatur des 19. Jahrhunderts (SoSe 2016)
Prof. Dr. Albert Meier

Heinrich von Kleist: Penthesilea (1808)

Das Gesamtwerk Heinrich von Kleists lässt sich in der Alternative von Klassik und Romantik nicht verorten und beweist damit, dass beide Stilrichtungen nicht klar voneinander abzugrenzen sind.

Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden

Kleists Nähe zu frühromantischen Auffassungen kommt u. a. in seinem Essay Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden (vermutlich 1805) zur Geltung, worin er erläutert, dass sich Ideen häufig erst während ihrer sprachlichen Äußerung herausbilden. Sich-Ausdrücken gelinge daher leichter, wenn man vor einer Äußerung noch nicht genau weiß, was genau man eigentlich sagen will – dass das klare Bewusstsein dessen, was gesagt werden soll, demgegenüber hinderlich sei, erklärt sich aus der – rousseauistischen – Grundhaltung, alle Reflektiertheit als Problem anzusehen (vgl. die Alltagserfahrung, dass man umso leichter stolpert, je bewusster man eine Treppe hinabgeht).

Über das Marionettentheater

Das Zwiegespräch Über das Marionettentheater (1810) diskutiert das triadische Geschichtsmodell, das dem romantischen Denken generell zugrunde liegt. Dabei geht man in Anlehnung an Rousseau davon aus, dass es einst einen Naturzustand gegeben hat, der durch die unvermeidliche Entwicklung von Vernunft und Zivilisation verloren gegangen ist und nun die Hoffnung nährt, künftig in einer neuen, nun in der Vernunft gründenden Einheit wiedergefunden zu werden. Wiederum thematisiert Kleist den Widerspruch von ursprünglicher Anmut (innere Harmonie bzw. Freiheit) und Reflektiertheit, die Verkrampfung zur Folge hat.

Penthesilea. Ein Trauerspiel

Kleists Penthesilea. Ein Trauerspiel (1808) ist als Gegenentwurf zu Goethes Iphigenie auf Tauris (1787) zu verstehen. Das Trauerspiel weist einerseits klassizistische Merkmale auf: Es behandelt mit dem Kampf zwischen Achill und der Amazonenkönigin Penthesilea einen antiken Mythos und und behandelt ihn dem Prinzip des aptum entsprechend im Hochstil (Kleist erlaubt sich dabei allerdings auch kalkulierte Stilbrüche); überdies wahrt es die aristotelischen Einheiten und bedient sich des Blankverses weit strenger als Schiller in Die Braut von Messina). – Im Unterschied zu den meisten klassizistischen Dramen ist Penthesilea jedoch nicht in fünf Akte gegliedert, sondern nur in 24 Auftritte (analog zu den 24 Gesängen von Homers Ilias und Odyssee). – In Übereinstimmung mit den antiken Tragödien werden besonders grausame, auf der Theaterbühne nicht darstellbare Vorgänge durch Teichoskopie (=›Mauerschau‹) oder als Botenbericht dargestellt.

Handlung

Schauplatz ist ein Schlachtfeld während des Trojanischen Kriegs, in den die Amazonen eingreifen und zugleich gegen Griechen und Trojaner kämpfen. Die Amazonenkönigin Penthesilea und der griechische Hauptheld Achill treffen aufeinander und verlieben sich. Bei Kleist darf eine Amazone ihren Partner jedoch nicht frei wählen, sondern muss denjenigen Krieger nehmen, den sie im Kampf besiegt. Im Widerspruch zu diesem Gesetz sucht sich Kleists Penthesilea Achill als Gegner, wird jedoch besiegt – als Achill die Zusammenhänge begreift, nimmt er den Kampf noch einmal auf, um ihn absichtlich zu verlieren. Penthesilea gerät dabei in einen Blutrausch, tötet Achill und verbeißt sich gemeinsam mit ihren Hunden in seine Leiche. Aus Entsetzen über diese Tat tötet sie sich am Ende des Dramas selbst. Die Drastik dieser Handlung bricht entschieden mit dem Humanitätsideal der Weimarer Klassik.

Heinrich von Kleist: An Ulrike von Kleist, 21. 11. 1811

»[…] die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war.«

[Kleist, Heinrich von: An Ulrike von Kleist, 21. 11. 1811. In: Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke und Briefe. Münchner Ausgabe. Auf der Grundlage der Brandenburger Ausgabe herausgegeben von Roland Reuß und Peter Staengle. Band II: Erzählungen / Kleine
Prosa / Gedichte / Briefe. München 2010, S. 996.]


Heinrich von Kleist: Tagesbegebenheiten (1810)

»Dem Capitain v. Bürger, vom ehemaligen Regiment Tauenzien, sagte der, auf der neuen Promenade erschlagene Arbeitsmann Brietz: der Baum, unter dem sie beide ständen, wäre auch wohl zu klein für zwei, und er könnte sich wohl unter einen Andern stellen. Der Capitain Bürger, der ein stiller und bescheidener Mann ist, stellte sich wirklich unter einen andern: worauf der etc. Brietz unmittelbar darauf vom Blitz getroffen und getödtet ward.«

[Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke und Briefe. Münchner Ausgabe. Auf der Grundlage der Brandenburger Ausgabe herausgegeben von Roland Reuß und Peter Staengle. Band II: Erzählungen / Kleine Prosa / Gedichte / Briefe. München 2010, S. 346f.]


Heinrich von Kleist: Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden (1805?)

»Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rathe ich dir, mein lieber, sinnreicher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen. Es braucht nicht eben ein scharfdenkender Kopf zu sein, auch meine ich es nicht so, als ob du ihn darum befragen solltest: nein! Vielmehr sollst du es ihm selber allererst erzählen.«

[Kleist, Heinrich von: Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden. In: Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke und Briefe. Münchner Ausgabe. Auf der Grundlage der Brandenburger Ausgabe herausgegeben von Roland Reuß und Peter Staengle. Band II: Erzählungen / Kleine Prosa / Gedichte / Briefe. München 2010, S. 284-289, hier S. 284.]


»Der Franzose sagt, l’appétit vient en mangeant, und dieser Erfahrungssatz bleibt wahr, wenn man ihn parodirt, und sagt, l’idée vient en parlant.«

[Kleist: Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden (Anm. 3), S. 284.]


»Aber weil ich doch irgend eine dunkle Vorstellung habe, die mit dem, was ich suche, von fern her in einiger Verbindung steht, so prägt, wenn ich nur dreist damit den Anfang mache, das Gemüth, während die Rede fortschreitet, in der Nothwendigkeit, dem Anfang nun auch ein Ende zu finden, ‒ jene verworrene Vorstellung zur völligen Deutlichkeit aus, dergestalt, daß die Erkenntniß, zu meinem Erstaunen, mit der Periode fertig ist. Ich mische unartikulirte Töne ein, ziehe die Verbindungswörter in die Länge, gebrauche auch wohl eine Apposition, wo sie nicht nöthig wäre, und bediene mich anderer, die Rede ausdehnender, Kunstgriffe, zur Fabrikation meiner Idee auf der Werkstätte der Vernunft, die gehörige Zeit zu gewinnen.«

[Kleist: Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden (Anm. 3), S. 284f.]


»›Ja‹, antwortete Mirabeau, ›wir haben des Königs Befehl vernommen‹ – ich bin gewiß, daß er, bei diesem humanen Anfang, noch nicht an die Bajonette dachte, mit welchen er schloß: ›ja, mein Herr‹, wiederholte er, ›wir haben ihn vernommen‹ – man sieht, daß er noch gar nicht recht weiß, was er will. ›Doch was berechtigt Sie‹ – fuhr er fort, und nun plötzlich geht ihm ein Quell ungeheurer Vorstellungen auf – ›uns hier Befehle anzudeuten? Wir sind die Repräsentanten der Nation.‹ – Das war es was er brauchte! ›Die Nation giebt Befehle und empfängt keine‹ – um sich gleich auf den Gipfel der Vermessenheit zu schwingen. ›Und damit ich mich ihnen ganz deutlich erkläre‹ – und erst jetzo findet er, was den ganzen Widerstand, zu welchem seine Seele gerüstet dasteht, ausdrückt: ›So sagen Sie Ihrem Könige, daß wir unsere Plätze anders nicht, als auf die Gewalt der Bajonette verlassen werden.‹ – Worauf er sich, selbst zufrieden, auf einen Stuhl niedersetzte.«

[Kleist: Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden (Anm. 3), S. 286.]


»Vielleicht, daß es auf diese Art zuletzt das Zucken einer Oberlippe war, oder ein zweideutiges Spiel an der Manschette, was in Frankreich den Umsturz der Ordnung der Dinge bewirkte.«

[Kleist: Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden (Anm. 3), S. 286.]


»Die Sprache ist alsdann keine Fessel, etwa wie ein Hemmschuh an dem Rade des Geistes, sondern wie ein zweites, mit ihm parallel fortlaufendes, Rad an seiner Axe. Etwas ganz Anderes ist es wenn der Geist schon, vor aller Rede, mit dem Gedanken fertig ist. Denn dann muß er bei seiner bloßen Ausdrückung zurückbleiben, und dies Geschäft, weit entfernt ihn zu erregen, hat vielmehr keine andere Wirkung, als ihn von seiner Erregung abzuspannen. Wenn daher eine Vorstellung verworren ausgedrückt wird, so folgt der Schluß noch gar nicht, daß sie auch verworren gedacht worden sei; vielmehr könnte es leicht sein, daß die verworrenst ausgedrückten grade am deutlichsten gedacht werden.«

[Kleist: Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden (Anm. 3), S. 287.]


»Denn nicht wir wissen, es ist allererst ein gewisser Zustand unsrer, welcher weiß.«

[Kleist: Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden (Anm. 3), S. 289.]


Heinrich von Kleist: Brief an Wilhelmine von Zenge, 22. 3. 1801.

»Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urtheilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün − und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzuthut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstande. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaftig Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist das letzte, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr − und alles Bestreben, ein Eigenthum sich zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ist vergeblich –«

[Kleist, Heinrich von: Brief an Wilhelmine von Zenge, 22. 3. 1801. In: Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke und Briefe. Münchner Ausgabe. Auf der Grundlage der Brandenburger Ausgabe herausgegeben von Roland Reuß und Peter Staengle. Band II: Erzählungen / Kleine Prosa / Gedichte / Briefe. München 2010, S. 708-714, hier S. 712.]


Heinrich von Kleist: Über das Marionettentheater (1810)

»Mithin, sagte ich ein wenig zerstreut, müßten wir wieder von dem Baum der Erkenntniß essen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen?
Allerdings, antwortete er; das ist das letzte Capitel von der Geschichte der Welt.«

[Kleist, Heinrich von: Über das Marionettentheater. In: Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke und Briefe. Münchner Ausgabe. Auf der Grundlage der Brandenburger Ausgabe herausgegeben von Roland Reuß und Peter Staengle. Band II: Erzählungen / Kleine Prosa / Gedichte / Briefe. München 2010, S. 425-433, hier S. 433.]


»Als ich den Winter 1801 in M… zubrachte, traf ich daselbst eines Abends, in einem öffentlichen Garten, den Hrn. C. an, der seit Kurzem, in dieser Stadt, als erster Tänzer der Oper, angestellt war, und bei dem Publico außerordentliches Glück machte.«

[Kleist: Über das Marionettentheater (Anm. 11), S. 425.]


»Ich sagte ihm, dass ich erstaunt gewesen wäre, ihn schon mehrere Mal in einem Marionettentheater zu finden, das auf dem Markte zusammengezimmert worden war und den Pöbel, durch kleine dramatische Burlesken, mit Gesang und Tanz durchwebt, belustigte.«

[Kleist: Über das Marionettentheater (Anm. 11), S. 426.]


»Er fragte mich, ob ich nicht, in der That, einige Bewegungen der Puppen, besonders der kleineren, im Tanz sehr graziös gefunden hatte. | Diesen Umstand konnte ich nicht leugnen.«

[Kleist: Über das Marionettentheater (Anm. 11), S. 426.]


Schiller, Friedrich: Ueber Anmuth und Würde (1793)

»Anmuth ist die Schönheit der Gestalt unter dem Einfluß der Freyheit; die Schönheit derjenigen Erscheinungen, die die Person bestimmt. Die architektonische Schönheit macht dem Urheber der Natur, Anmuth und Grazie machen ihrem Besitzer Ehre. Jene ist ein Talent, diese ein persönliches Verdienst. […]
Grazie hingegen muß jederzeit Natur, d. i. unwillkührlich seyn (wenigstens so scheinen), und das Subjekt selbst darf nie so aussehen, als wenn es um seine Anmuth wüßte.«

[Schiller, Friedrich: Ueber Anmuth und Würde. In: Schillers Werke. Nationalausgabe. Zwanzigster Band: Philosophische Schriften. Erster Teil. Unter Mitwirkung von Helmut Koopmann herausgegeben von Benno von Wiese. Weimar 1962, S. 251-308, hier S. 264/269.]


Heinrich von Kleist: Über das Marionettentheater (1810)

»Sehen Sie nur die P… an, fuhr er fort, wenn sie die Daphne spielt, und sich, verfolgt vom Apoll, nach ihm umsieht; die Seele sitzt ihr in den Wirbeln des Kreuzes; sie beugt sich, als ob sie brechen wollte, wie eine Najade aus der Schule Bernins.«

[Kleist: Über das Marionettentheater (Anm. 11), S. 429.]


»Ich sagte, daß, so geschickt er auch die Sache seiner Paradoxe führe, er mich doch nimmermehr glauben machen würde, daß in einem mechanischen Gliedermann mehr Anmuth enthalten sein könne, als in dem Bau des menschlichen Körpers.
Er versetzte, daß es dem Menschen schlechthin unmöglich wäre, den Gliedermann darin auch nur zu erreichen. Nur ein Gott könne sich, auf diesem Felde, mit der Materie messen; und hier sei der Punct, wo die beiden Enden der ringförmigen Welt ineinander griffen.
Ich erstaunte immer mehr, und wußte nicht, was ich zu so sonderbaren Behauptungen sagen sollte.«

[Kleist: Über das Marionettentheater (Anm. 11), S. 429f.]


»Es scheine, versetzte er, indem er eine Prise Taback nahm, daß ich das dritte Capitel vom ersten Buch Moses nicht mit Aufmerksamkeit gelesen […].«

[Kleist: Über das Marionettentheater (Anm. 11), S. 430.]


»Ich sagte, daß ich gar wohl wüßte, welche Unordnungen, in der natürlichen Grazie des Menschen, das Bewußtsein anrichtet. Ein junger Mann von meiner Bekanntschaft hätte, durch eine bloße Bemerkung, gleichsam vor meinen Augen, seine Unschuld verloren, und das Paradies derselben, trotz aller ersinnlichen Bemühungen, nachher niemals wieder gefunden.«

[Kleist: Über das Marionettentheater (Anm. 11), S. 430.]


»Glauben Sie diese Geschichte?
Vollkommen! rief ich, mit freudigem Beifall; jedwedem Fremden, so wahrscheinlich ist sie: um wie viel mehr Ihnen!«

[Kleist: Über das Marionettentheater (Anm. 11), S. 432.]


»Nun, mein vortrefflicher Freund, sagte Herr C…, so sind Sie im Besitz von Allem, was nöthig ist, um mich zu begreifen. Wir sehen, daß in dem Maaße, als, in der organischen Welt, die Reflexion dunkler und schwächer wird, die Grazie darin immer strahlender und herrschender hervortritt. – Doch so, wie sich der Durchschnitt zweier Linien, auf der einen Seite eines Puncts, nach dem Durchgang durch das Unendliche, plötzlich wieder auf der andern Seite einfindet, oder das Bild des Hohlspiegels, nachdem es sich in das Unendliche entfernt hat, plötzlich wieder dicht vor uns tritt: so findet sich auch, wenn die Erkenntniß gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein; so, daß sie, zu gleicher Zeit, in demjenigen menschlichen Körperbau am Reinsten erscheint, der entweder gar keins, oder ein unendliches Bewußtsein hat, d. h. in dem Gliedermann, oder in dem Gott.«

[Kleist: Über das Marionettentheater (Anm. 11), S. 432f.]


»Solche Mißgriffe, setzte er abbrechend hinzu, sind unvermeidlich, seitdem wir vom Baum der Erkenntniß gegessen haben. Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.«

[Kleist: Über das Marionettentheater (Anm. 11), S. 429.]


Heinrich von Kleist: Brief an Johann Wolfgang Goethe, 24. 1. 1808

»Ew. Excellenz habe ich die Ehre, in der Anlage gehorsamst das 1t Heft des Phöbus zu überschicken.Es ist auf den ›Knieen meines Herzens‹ daß ich damit vor Ihnen erscheine; mögte das Gefühl, das meine Hände ungewiß macht, den Werth dessen ersetzen, was sie darbringen.
Ich war zu furchtsam, das Trauerspiel, von welchem Ew. Excellenz hier ein Fragment finden werden, dem Publicum im Ganzen vorzulegen. […]
Es ist übrigens eben so wenig für die Bühne geschrieben, als jenes frühere Drama: der Zerbrochene Krug, und ich kann es nur Ew Excellenz gutem Willen zuschreiben, mich aufzumuntern, wenn dies letztere gleichwohl in Weimar gegeben wird. Unsre übrigen Bühnen sind weder vor noch hinter dem Vorhange so beschaffen, daß ich auf diese Auszeichnung rechnen dürfte, und so sehr ich auch sonst in jedem Sinne gern dem Augenblick angehöre, so muß ich doch in diesem Fall auf die Zukunft hinaussehen, weil die Rücksichten gar zu niederschlagend wären.«

[Kleist, Heinrich von: Brief an Johann Wolfgang Goethe, 24. 1. 1808. In: Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke und Briefe. Münchner Ausgabe. Auf der Grundlage der Brandenburger Ausgabe herausgegeben von Roland Reuß und Peter Staengle. Band II: Erzählungen / Kleine Prosa / Gedichte / Briefe. München 2010, S. 896f.]


Goethe, Johann Wolfgang: Brief an Heinrich von Kleist, 1. Februar 1808

»Mit der Penthesilea kann ich mich noch nicht befreunden. Sie ist aus einem so wunderbaren Geschlecht und bewegt sich in einer so fremden Region, dass ich mir Zeit nehmen muss, mich in beide zu finden. Auch erlauben Sie mir zu sagen (denn wenn man nicht aufrichtig sein sollte, so wäre es besser, man schwiege gar), dass es mich immer betrübt und bekümmert, wenn ich junge Männer
von Geist und Talent sehe, die auf ein Theater warten, welches da kommen soll.«

[Goethe, Johann Wolfgang: Brief an Heinrich von Kleist, 1. Februar 1808. In: Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Vierzig Bände. II. Abteilung: Briefe, Tagebücher und Gespräche. Herausgegeben von Karl Eibl zusammen mit Horst Fleig, Wilhelm Große, Christoph Michel, Norbert Oellers, Hartmut Reinhardt, Dorothea Schäfer-Weiss und Rose Unterberger. Band 6: Napoleonische Zeit. Briefe, Tagebücher und Gespräche vom 10. Mai 1805 bis 6. Juni 1816. Teil 1: Von Schillers Tod bis 1811. Herausgegeben von Rose Unterberger. Frankfurt am Main 2009, S. 273f., hier S. 273.]


Quintus Horatius Flaccus: De arte poetica / Das Buch von der Dichtkunst (v. 185-188)

»[…] ne pueros coram populo Medea trucidet / aut humana palam coquat exta nefarius Atreus / aut in avem Procne vertatur, Cadmus in anguem. / quodcumque ostendis mihi sic, incredulis odi.«

»Trotzdem laß Dinge, die ins Haus gehören, nicht vor der Bühnenwand geschehen; laß vieles den Augen entrückt bleiben: dann mag beredter Zeugenmund es später anschaulich erzählen. Nicht darf vor allem Volk Medea ihre Kinder schlachten; nicht darf der grausige Atreus Menschenfleisch auf offener Bühne kochen, nicht Prokne in den Vogel, Kadmus in die Schlange sich verwandeln. Was du mir so handgreiflich zeigst, erregt Unglauben nur und Widerwillen.«

[Quintus Horatius Flaccus: De arte poetica / Das Buch von der Dichtkunst (v. 185-188). In: Horaz: Sämtliche Werke. Lateinisch und
deutsch. Teil II: Sermones und Epistulae übersetzt und zusammen mit Hans Färber bearbeitet von Wilhelm Schöne. München 11/1993 (Sammlung Tusculum), S. 538-575, hier S. 552/553.]


Johann Joachim Winckelmann: Geschichte der Kunst des Altertums (1764)

»Die Natur, nach dem sie stuffenweis durch Kälte und Hitze gegangen, hat sich in Griechenland, wo eine zwischen Winter und Sommer abgewogene Witterung ist, wie in ihrem Mittelpuncte gesetzt, und je mehr sie sich demselben nähert, desto heiterer und fröhlicher wird sie […].«

[Johann Winckelmann, Präsidentens der Alterthümer zu Rom, und Scrittore der Vaticanischen Bibliothek, Mitglieds der Königl. Englischen Societät der Alterthümer zu London, der Maleracademie von St. Luca zu Rom, und der Hetrurischen zu Cortona, Geschichte der Kunst des Alterthums. Erster Theil. Mit Königl. Pohlnisch= und Churfürstl. Sächs. allergnädigsten Privilegio. Dresden, 1764, S. 128f.]


Heinrich von Kleist: Penthesilea. Ein Trauerspiel (1808)

»Antilochus.
Seid mir gegrüßt, ihr Könige! Wie geht’s,
Seit wir zuletzt bei Troja uns gesehn?
Odysseus.
Schlecht, Antiloch.«

[Kleist, Heinrich von: Penthesilea. Ein Trauerspiel. In: Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke und Briefe. Münchner Ausgabe. Auf der Grundlage der Brandenburger Ausgabe herausgegeben von Roland Reuß und Peter Staengle. Band I: Dramen. München 2010, S. 373- 500, hier S. 375 (v. 1-3).]


Heinrich von Kleist: Rezension zu Achim von Arnims Halle und Jerusalem, Berliner Abendblätter, 29. 12. 1810

»Wenn hier oder dort uns eine Wendung des wunderbaren Gedichtes befremdete, so sind wir doch nicht Barbaren genug, um irgend eine angewöhnte, unserm Ohr längst eingesungene poetische Weise für die Regel alles Gesanges zu halten. Der Dichter hat mehr auszusprechen als das besondere uns in engen Schulen anempfundene Gute und Schöne. Alles Vortrefliche führt etwas Befremdendes mit sich, am meisten in Zeiten, wo die Wunder der Poesie der großen Mehrzahl der Menschen auf Erden fremd geworden sind.«

[Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke und Briefe. Münchner Ausgabe. Auf der Grundlage der Brandenburger Ausgabe herausgegeben von Roland Reuß und Peter Staengle. Band II: Erzählungen / Kleine Prosa / Gedichte / Briefe. München 2010, S. 442.]


Heinrich von Kleist: Penthesilea. Ein Trauerspiel (1808)

»Odysseus. | […] Jetzt hebt | Ein Kampf an, wie er, seit die Furien walten, | Noch nicht gekämpft ward auf der Erde Rücken. | So viel ich weiß, giebt es in der Natur | Kraft blos und ihren Widerstand, nichts Drittes. | Was Glut des Feuers löscht, lös’t Wasser siedend | Zu Dampf nicht auf und umgekehrt. Doch hier | Zeigt ein ergrimmter Feind von beiden sich. | Bei dessen Eintritt nicht das
Feuer weiß, | Ob’s mit dem Wasser rieseln soll, das Wasser | Ob’s mit dem Feuer himmelan soll lecken. | Der Trojer wirft, gedrängt von Amazonen, | Sich hinter eines Griechen Schild, der Grieche | Befreit ihn von der Jungfrau, die ihn drängte, | Und Griech’ und Trojer müssen jetzt sich fast, | Dem Raub der Helena zu Trotz, vereinen, | Um dem gemeinen Feinde zu begegnen.«

[Kleist: Penthesilea (Anm. 27), S. 378f. (v. 122-138).]


»Meroe. | […] | Er, in dem Purpur seines Bluts sich wälzend, | Rührt ihre sanfte Wange an, und ruft: | Penthesilea! meine Braut! was tust du? | Ist dies das Rosenfest, das du versprachst? | Doch sie − die Löwin hätte ihn gehört, | Die hungrige, die wild nach Raub umher, | Auf öden Schneegefilden heulend treibt; | Sie schlägt, die Rüstung ihm vom Leibe reißend, | Den Zahn schlägt sie in seine
weiße Brust, | Sie und die Hunde, die wetteifernden, | Oxus und Sphinx, den Zahn in seine rechte, | In seine linke sie; als ich erschien, | Troff Blut von Mund und Händen ihr herab.«

[Kleist: Penthesilea (Anm. 27), S. 481f. (v. 2662-2674).]


»Penthesilea. | Küßt’ ich ihn todt? | Die erste Priesterinn. | O Himmel! | Penthesilea. | Nicht? Küßt’ ich nicht? Zerrissen wirklich? sprecht? | Die Oberpriesterinn. | Weh’! Wehe! ruf’ ich dir. Verberge dich! | Laß für der ew’ge Mitternacht dich decken! | Penthesilea. | – So war es ein Versehen. Küsse, Bisse, | Das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, | Kann schon das Eine für das Andre greifen. | Meroe. | Helf’t ihr, ihr Ew’gen, dort! | Prothoe. (ergreift sie) | Hinweg! | Penthesilea. | Laßt, laßt! | (sie wickelt sich los, und läßt sich auf Knieen vor der Leiche nieder) | Du Ärmster aller Menschen, du vergiebst mir! | Ich habe mich, bei Diana, bloß versprochen, | Weil ich der raschen Lippe Herr nicht bin; | Doch jetzt sag’ ich dir deutlich, wie ichs meinte: | Dies, du Geliebter, war’s, und weiter nichts. | (sie küßt ihn)«

[Kleist: Penthesilea (Anm. 27), S. 497 (v. 2977-2989).]


»Penthesilea. | Denn jetzt steig’ ich in meinen Busen nieder, | Gleich einem Schacht, und grabe, kalt wie Erz, | Mir ein vernichtendes Gefühl hervor. | Dies Erz, dies läutr’ ich in der Glut des Jammers | Hart mir zu Stahl; tränk’ es mit Gift sodann, | Heißätzendem, der Reue, durch und durch; | Trag’ es der Hoffnung ew’gem Amboß zu, | Und schärf und spitz es mir zu einem Dolch; | Und diesem
Dolch jetzt reich’ ich meine Brust: | So! So! So! So! Und wieder! — Nun ist’s gut. | (sie fällt und stirbt)«

[Kleist: Penthesilea (Anm. 27), S. 499f. (v. 3025-3034).]


Friedrich Schlegel: Athenäumsfragment 42 (1798)

»Gute Dramen müssen drastisch sein.«

[Friedrich Schlegel: Fragmente [Athenäums-Fragmente]. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Herausgegeben von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Zweiter Band. Erste Abteilung: Charakteristiken und Kritiken I (1796-1801). Herausgegeben und eingeleitet von Hans Eichner. München – Paderborn –Wien – Zürich 1967, S. 165-255, hier S. 171 (Nr. 42).]