Expressionismus – Quellen und Zitate

Nur die gewohnten Gegenstände wirken bei einem mittelmäßig empfindlichen Menschen ganz oberflächlich. Die aber, die uns zum erstenmal begegnen, üben sofort einen seelischen Eindruck auf uns aus.

Kandinsky [, Wassily]: Über das Geistige in der Kunst, insbesondere in der Malerei. Dritte Auflage. München 1912, S. 44.

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[›rotes Pferd‹]: Schon der Klang dieser Worte versetzt uns in eine andere Atmosphäre. Die naturelle Unmöglichkeit eines roten Pferdes verlangt unbedingt ein ebenso unnaturelles Milieu, in welches dieses Pferd gestellt wird. Andernfalls kann die Gesamtwirkung entweder als Kuriosität wirken (also nur oberflächliche und ganz unkünstlerische Wirkung), oder als ein ungeschickt aufgefaßtes Märchen (also als begründete Kuriosität mit unkünstlerischer Wirkung). Eine gewöhnliche, naturalistische Landschaft, modellierte, anatomisch gezeichnete Figuren würden mit diesem Pferd einen solchen Mißklang bilden, welchem kein Gefühl folgen würde und was in Eins zu verbinden es keine Möglichkeit geben würde.

Kandinsky [, Wassily]: Über das Geistige in der Kunst, insbesondere in der Malerei. Dritte Auflage. München 1912, S. 102f.

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Weltende

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut.

In allen Lüften hallt es wie Geschrei.

Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei

Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen

An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.

Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.

Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

Hoddis, Jakob van [d. i.: Hans Davidsohn]: Weltende. In: Der Demokrat. Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur. 3. Jahrgang, Nr. 2: 11. Januar 1911.

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Die kalten Winde bliesen

Mir grad’ in’s Angesicht,

Der Hut flog mir vom Kopfe.

Ich wendete mich nicht.

Müller, Wilhelm: Der Lindenbaum (v. 17-20). In: Müller, Wilhelm: Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten. Herausgegeben von Wilhelm Müller. Zweites Bändchen. Deßau 1824, S. 84.

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Die Dämmerung

Ein dicker Junge spielt mit einem Teich.

Der Wind hat sich in einem Baum gefangen.

Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich,

Als wäre ihm die Schminke ausgegangen.

Auf lange Krücken schief herabgebückt

Und schwatzend kriechen auf dem Feld zwei Lahme.

Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt.

Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.

An einem Fenster klebt ein fetter Mann.

Ein Jüngling will ein weiches Weib besuchen.

Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel an.

Ein Kinderwagen schreit und Hunde fluchen.

Lichtenstein, Alfred: Die Dämmerung. In: Der Sturm. Wochenschrift für Kultur und die Künste. Jahrgang 1911. Berlin/Sonnabend den 18. März 1911/Hannover. Nummer 55, S. 439.

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Kleine Aster

Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.

Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhellila Aster

zwischen die Zähne geklemmt.

Als ich von der Brust aus

unter der Haut

mit einem langen Messer

Zunge und Gaumen herausschnitt,

muß ich sie angestoßen haben, denn sie glitt

in das nebenliegende Gehirn.

Ich packte sie ihm in die Bauchhöhle

zwischen die Holzwolle,

als man zunähte.

Trinke dich satt in deiner Vase!

Ruhe sanft,

kleine Aster!

Benn, Gottfried: Kleine Aster. In: Benn, Gottfried: Sämtliche Werke. Stuttgarter Ausgabe. In Verbindung mit Ilse Benn herausgegeben von Gerhard Schuster. Band 1: Gedichte. Stuttgart 1986, S. 11.

Queen. Drown’d, drown’d. | Laertes. Too much of water hast thou, poor Ophelia, | And therefore I forbid my tears. [IV 7, v. 183-185]

Shakespeare, William: Hamlet. Edited by Harold Jenkins. London – New York 1982 (The Arden Shakespeare), S. 375.

Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke

Der Mann:

Hier diese Reihe sind zerfallene Schöße

und diese Reihe ist zerfallene Brust.

Bett stinkt bei Bett. Die Schwestern wechseln stündlich.

Komm, hebe ruhig diese Decke auf.

Sieh, dieser Klumpen Fett und faule Säfte,

das war einst irgendeinem Mann groß

und hieß auch Rausch und Heimat.

Komm, sieh auf diese Narbe an der Brust.

Fühlst du den Rosenkranz von weichen Knoten?

Fühl ruhig hin. Das Fleisch ist weich und schmerzt nicht.

Hier diese blutet wie aus dreißig Leibern.

Kein Mensch hat soviel Blut.

Hier dieser schnitt man

erst noch ein Kind aus dem verkrebsten Schoß.

Man läßt sie schlafen. Tag und Nacht. – Den Neuen

sagt man: hier schläft man sich gesund. – Nur sonntags

für den Besuch läßt man sie etwas wacher.

Nahrung wird wenig noch verzehrt. Die Rücken

sind wund. Du siehst die Fliegen. Manchmal

wäscht sie die Schwester. Wie man Bänke wäscht.

Hier schwillt der Acker schon um jedes Bett.

Fleisch ebnet sich zu Land. Glut gibt sich fort,

Saft schickt sich an zu rinnen. Erde ruft.

Benn, Gottfried: Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke. In: Benn, Gottfried: Sämtliche Werke. Stuttgarter Ausgabe. In Verbindung mit Ilse Benn herausgegeben von Gerhard Schuster. Band 1: Gedichte. Stuttgart 1986, S. 16.

ES wird der bleiche tod mit seiner kalten hand | Dir endlich mit der zeit um deine brüste streichen / | Der liebliche corall der lippen wird verbleichen; | Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand / || Der augen süsser blitz / die kräffte deiner hand / | Für welchen solches fällt / die werden zeitlich weichen / | Das haar / das itzund kan des goldes glantz erreichen / | Tilgt endlich tag und jahr als ein gemeines band. || Der wohlgesetzte fuß / die lieblichen gebärden / | Die werden theils zu staub / theils nichts und nichtig werden / | Denn opffert keiner mehr der gottheit deiner pracht. || Diß und noch mehr als diß muß endlich untergehen / | Dein hertze kan allein zu aller zeit bestehen / | Dieweil es die natur aus diamant gemacht.

Hof[f]mannswaldau, Christian Hof[f]mann von: Sonnet. Vergänglichkeit der schönheit. In: In: Herrn | von Hoffmannswaldau | und andrer Deutschen | auserlesene | und bißher ungedruckte | Gedichte/ nebenst | einer Vorrede | von der deutschen Poesie. | LEIPZIG/ Bey J. Thomas Fritsch. 1695, S. 13.

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… une automobile rugissante, qui a l’ air de courir sur de la mitraille est plus belle que la Victoire de Samothrace.

<… ein röhrendes Automobil, das wie auf Geschossen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake.>

Marinetti, Filippo Tommaso: Manifeste du Futurisme. In: Le Figaro, 20. 02.1909, S. 1.

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