Die Frühromantik – Quellen und Zitate
[Die Aufgeklärten] verkannten durchaus die Rechte der Phantasie, und hätten, wo möglich, die Menschen gern ganz von ihr geheilt.
[Schlegel, August Wilhelm]: Ueber Litteratur, Kunst und Geist des Zeitalters. Einige Vorlesungen in Berlin, zu Ende des J. 1802, gehalten von A. W. Schlegel. In: Europa. Eine Zeitschrift. Herausgegeben von Friedrich Schlegel. Zweiter Band. Frankfurt a. M. 1803, S. 3-95, hier S. 68.
Auch unser Gemüth theilt sich wie die äußere Welt zwischen Licht und Dunkel, und der Wechsel von Tag und Nacht ist ein sehr treffendes Bild unsers geistigen Daseyns […]. Der Sonnenschein ist die Vernunft als Sittlichkeit auf das thätige Leben angewandt, wo wir an die Bedingungen der Wirklichkeit gebunden sind. Die Nacht aber umhüllt diese mit einem wohlthätigen Schleyer, und eröffnet uns dagegen durch die Gestirne die Aussicht in die Räume der Möglichkeit; sie ist die Zeit der Träume.
Schlegel, August Wilhelm: Allgemeine Übersicht des gegenwärtigen Zustandes der Deutschen Literatur. In: August Wilhelm Schlegels Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst. Zweiter Teil (1802 – 1803): Geschichte der klassischen Litteratur. Stuttgart 1884, S. 16-94, hier S. 69.
Die Poësie heilt die Wunden, die der Verstand schlägt. Sie besteht gerade aus entgegengesezten Bestandtheilen – aus erhebender Wahrheit und angenehmer Täuschung.
Novalis: Aus den Fragmenten und Studien. 1799/1800. In: Novalis. Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs. Herausgegeben von Hans-Joachim Mähl und Richard Samuel. München – Wien 1978, S. 751-848, hier S. 814.
Si [la Nature] nous a destinés à être sains, j’ose presque assurer, que l’état de reflexion est un état contre Nature, et que l’homme qui médite est un animal dépravé.
Discours sur l’origine et les fondemens de l’inégalité parmi les hommes. Par Jean Jacques Rousseau citoyen de Genève. Amsterdam MDCCLV, S. 22).
Wenn [die Natur] uns zur Gesundheit bestimmt hat, dann wage ich beinahe zu versichern, daß der Zustand der Reflexion wider die Natur ist und daß ein grübelnder Mensch ein entartetes Tier ist.
Rousseau, Jean-Jacques: Über die Ungleichheit. In: Rousseau, Jean-Jacques: Schriften zur Kulturkritik. Eingeleitet, übersetzt und herausgegeben von Kurt Weigand. Zweite, erweiterte und durchgesehene Auflage. Hamburg1971, S. 63-269, hier S. 99.
Die Natur soll uns aber wieder magisch werden, d. h. wir sollen in allen körperlichen Dingen nur Zeichen, Chiffern geistiger Intentionen erblicken, alle Naturwirkungen müssen uns wie durch höheres Geisterwort, durch geheimnißvolle Zaubersprüche hervorgerufen erscheinen […].
Schlegel, August Wilhelm: Allgemeine Übersicht des gegenwärtigen Zustandes der Deutschen Literatur. In: August Wilhelm Schlegels Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst. Zweiter Teil (1802 – 1803): Geschichte der klassischen Litteratur. Stuttgart 1884, S. 16-94, hier S. 62.
Die Welt muß romantisirt werden. So findet man den urspr[ünglichen] Sinn wieder. Romantisiren ist nichts, als eine qualit[ative] Potenzirung. Das niedre Selbst wird mit einem bessern Selbst in dieser Operation identificirt. So wie wir selbst eine solche qualit[ative] Potenzreihe sind. Diese Operation ist noch ganz unbekannt. Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnißvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisire ich es – Umgekehrt ist die Operation für das Höhere, Unbekannte, Mystische, Unendliche – dies wird durch diese Verknüpfung logarythmisirt – Es bekommt einen geläufigen Ausdruck.
Novalis. Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs. Herausgegeben von Paul Kluckhohn (†) und Richard Samuel. Zweite, nach den Handschriften ergänzte, erweiterte und verbesserte Auflage in vier Bänden und einem Begleitband. Zweiter Band: Das philosophische Werk I. Herausgegeben von Richard Samuel in Zusammenarbeit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Stuttgart 1965, S. 545.
Denn das ist der Anfang aller Poesie, den Gang und die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schöne Verwirrung der Fantasie, in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen […].
Schlegel, Friedrich: Rede über die Mythologie [in: Gespräch über die Poesie]. In: Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel. Dritter Band. Berlin 1800, S. 94-112, hier S. 103.
Jeder Mensch ist ein Dichter.
Schlegel, Friedrich: Fragmente zur Poesie und Literatur. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Herausgegeben von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Sechzehnter Band. Erster Teil. Mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Hans Eichner. München – Paderborn –Wien – Zürich 1981, S. 106.
Jeder Mensch sollte Künstler seyn. Alles kann zur schönen Kunst werden.
Novalis (d. i. Friedrich von Hardenberg): Glauben und Liebe oder der König und die Königin. In: Jahrbücher der preußischen Monarchie unter der Regierung Friedrich Wilhelms des Dritten. Jahrgang 1798. Zweiter Band: Mai. Junius. Julius. August. Berlin 1798, S. 269-286, hier S. 285.
Poésie = Gemütherregungskunst.
Novalis: Aus den Fragmenten und Studien. 1799/1800. In: Novalis. Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs. Herausgegeben von Hans-Joachim Mähl und Richard Samuel. München – Wien 1978, S. 751-848, hier S. 801.
Romance heißt soviel als lingua volgare, die neuere Volkssprache, die sich im Conflict einer barbarischen mit einer gelehrten und klassisch vollendeten endlich gebildet hatte, so wie überhaupt aus diesem Chaos streitender Elemente die romantische Gestaltung des Mittelalters hervorging.
Schlegel, August Wilhelm: Bürger. 1800. In: Kritische Schriften von August Wilhelm von Schlegel. Zweiter Theil. Berlin 1828, S. 1-81, hier S. 19.
Ironie ist Pflicht.
Schlegel, Friedrich: Fragmente zur Poesie und Literatur. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Herausgegeben von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Sechzehnter Band. Erster Teil. Mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Hans Eichner. München – Paderborn –Wien – Zürich 1981, S. 124.
Es ist gleich tödtlich für den Geist, ein System zu haben, und keins zu haben. Er wird sich also wohl entschließen müßen, beydes zu verbinden.
Schlegel, Friedrich: Athenäumsfragment Nr. 53. In: Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel. Ersten Bandes Zweytes Stück. Berlin 1798, S. 15.
Die Ironie ist eine permanente Parekbase.
Schlegel, Friedrich: Philosophische Lehrjahre 1796-1806 nebst philosophischen Manuskripten aus den Jahren 1796-1828. Erster Teil. Mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Ernst Behler. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Herausgegeben von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Achtzehnter Band. München – Paderborn – Wien – Zürich 1963, S. 85.
Ja keine Nachahmung der Natur. Die Poësie ist durchaus das Gegentheil. Höchstens kann die Nachahmung der Natur, der Wircklichkeit nur allegorisch, oder im Gegensatz, oder des tragischen und lustigen Effects wegen hin und wieder gebraucht werden. | Alles muß poëtisch seyn.
Hardenberg, Friedrich von: Brief an den Bruder Karl von Hardenberg, Ende März 1800. In: Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs. Herausgegeben von Hans-Joachim Mähl und Richard Samuel. Band 1: Das dichterische Werk, Tagebücher und Briefe. Herausgegeben von Richard Samuel. München – Wien 1978, S. 737.
Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie.
Schlegel, Friedrich: Athenäumsfragment Nr. 116. In: Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel. Ersten Bandes Zweytes Stück. Berlin 1798, S. 28.
Es giebt eine Poesie, deren Eins und Alles das Verhältniß des Idealen und des Realen ist, und die also nach der Analogie der philosophischen Kunstsprache Transcendentalpoesie heißen müßte. […] So wie man aber wenig Werth auf eine Transcendentalphilosophie legen würde, die nicht kritisch wäre, nicht auch das Producirende mit dem Produkt darstellte, und im System der transcendentalen Gedanken zugleich eine Charakteristik des transcendentalen Denkens enthielte: so sollte wohl auch jene Poesie […] in jeder ihrer Darstellungen sich selbst mit darstellen, und überall zugleich Poesie und Poesie der Poesie seyn.
Schlegel, Friedrich: Athenäumsfragment Nr. 238. In: Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel. Ersten Bandes Zweytes Stück. Berlin 1798, S. 64f.
Ja ich kann mir einen Roman kaum anders denken, als gemischt aus Erzählung, Gesang und andern Formen.
Schlegel, Friedrich: Brief über den Roman [in: Gespräch über die Poesie]. In: Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel. Dritter Band. Berlin 1800, S. 112-128, hier S. 124.
Ein Roman ist ein romantisches Buch. – Sie werden das für eine nichtssagende Tautologie ausgeben. Aber ich will Sie zuerst nur darauf aufmerksam machen, daß man sich bey einem Buche schon ein Werk, ein für sich bestehendes Ganze denkt. Alsdann liegt ein sehr wichtiger Gegensatz gegen das Schauspiel darin, welches bestimmt ist angeschaut zu werden: der Roman hingegen war es von den ältesten Zeiten für die Lektüre, und daraus lassen sich fast alle Verschiedenheiten in der Manier der Darstellung beyder Formen herleiten.
Schlegel, Friedrich: Brief über den Roman [in: Gespräch über die Poesie]. In: Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel. Dritter Band. Berlin 1800, S. 112-128, hier S. 123.
Diese wunderbare Prosa ist Prosa und doch Poesie. Ihre Fülle ist zierlich, ihre Einfachheit bedeutend und vielsagend und ihre hohe und zarte Ausbildung ist ohne eigensinnige Strenge.
Schlegel, Friedrich: Über Goethe’s Meister. In: Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel. Ersten Bandes Zweytes Stück. Berlin 1798, S. 147-178, hier S. 158.
Für mich und für diese Schrift, für meine Liebe zu ihr und für ihre Bildung in sich, ist aber kein Zweck zweckmäßiger, als der, daß ich gleich Anfangs das was wir Ordnung nennen vernichte, weit von ihr entferne und mir das Recht einer reizenden Verwirrung deutlich zueigne und durch die That behaupte. […] Ich gebrauche also mein unbezweifeltes Verwirrungsrecht und setze oder stelle hier ganz an die unrechte Stelle eines von den vielen zerstreuten Blättern die ich aus Sehnsucht und Ungeduld, wenn ich dich nicht fand […], mit den ersten den besten Worten […] anfüllte oder verdarb, und die du Gute, ohne daß ich es wußte, sorgsam bewahrtest.
[Schlegel, Friedrich]: Lucinde. Ein Roman von Friedrich Schlegel. Erster Theil. Berlin 1799, S. 13-15.
Aber was soll mein Geist seinem Sohne geben, der gleich ihm so arm an Poesie ist als reich an Liebe? | Nur ein Wort, ein Bild zum Abschiede: Nicht der königliche Adler allein darf das Gekrächz der Raben verachten; auch der Schwan ist stolz, und nimmt es nicht wahr. Ihn kümmert nichts, als daß der Glanz seiner weißen Fittiche rein bleibe. Er sinnt nur darauf, sich an den Schooß der Leda zu schmiegen, ohne ihn zu verletzen; und alles was sterblich ist an ihm, in Gesänge auszuhauchen.
[Schlegel, Friedrich]: Lucinde. Ein Roman von Friedrich Schlegel. Erster Theil. Berlin 1799, S. 2.