Vorlesung: Philosophie und Poesie der Postmoderne (WS 2014/15)
Professor Dr. Albert Meier
Romantische vs. Postmoderne Ironie
Die Postmoderne lässt sich als Radikalisierung romantischen Denkens erläutern, die insbesondere auf das Ideal von Ganzheitlichkeit bzw. Ursprünglichkeit/Natürlichkeit verzichtet.
Dieses Ideal gilt bereits in der Romantik als nicht mehr erreichbar; umso mehr wird aber eine Sehnsucht nach dem Verlorenen kultiviert, um wenigstens in der Erfahrung des schmerzlichen Vermissens die einstige ›Einheit‹ noch erahnen zu lassen.
In der Postmoderne wird hingegen auf jede Art von überzeitlichem Sinnzentrum verzichtet (vgl. Derridas Widerlegung des ›transzendentalen Signifikats‹) und akzeptiert die fragmentierte, daher plurale Realität.
Postmoderne Ironie
Dem Architekturtheoretiker Charles Jencks (*1939) zufolge muss man dieser Pluralität mit Ironie begegnen, da nur so ein unverkrampfterer Umgang mit den Verhältnissen gewährleistet sei. Eine ähnliche Argumentation vertritt der US-amerikanische Philosoph Richard Rorty (1931-2007) in Contingency, irony and solidarity (1989).
Er fordert darin eine Abkehr vom metaphysischen Universalismus und vom Logozentrismus und verteidigt die Ironie als eine der Realität angemessene Herangehensweise. Die ›Ironikerin‹ (im englischsprachigen Original ist dem Terminus ›ironist‹ absichtlich das Pronomen ›she‹ zugeordnet, um Ironie als ›feminines‹ Prinzip von der ›maskulin‹ bestimmten Metaphysik (›Phallozentrismus‹) abzusetzen) sei sich der Zufälligkeit der Wahrheiten, Bedürfnisse und Charaktereigenschaften bewusst und daher von Grund auf tolerant; sie zeichne sich dadurch aus, dass sie an der Endgültigkeit ihrer Ausdrucksweise radikal zweifle.
Als die vorrangige intellektuelle Disziplin verteidigt Rorty die Literaturwissenschaft (bzw. ›literarische Kompetenz‹), da eine ästhetisch motivierte Wahrnehmung der Diversität angemessener sei als strenge Logik.
Romantische Ironie
Die postmoderne Ironie führt das Konzept der romantischen Ironie fort. Diese romantische Ironie ist von der traditionellen bzw. rhetorischen Ironie zu unterscheiden, in der stets das Gegenteil vom Gesagten gemeint ist.
Romantische Ironie meint demgegenüber das konsequente Auf-Abstand-Gehen zu allen Äußerungen oder Handlungen/Darstellungen, um deren Konstruiertheit offensichtlich zu machen (des zeigt sich z. B. in Ludwig Tiecks Lustspiel Die verkehrte Welt (1800), in dem ein ›Spiel im Spiel‹ mit dem Epilog beginnt und mit dem Prolog endet).
Friedrich Schlegel zufolge ermöglichen derartige ästhetische Verfahren ein freieres Verhalten: »Alles was sich nicht selbst annihilirt, ist nicht frei und nichts werth. –«
Laut Paul de Man (1919-1983) lässt Ironie (als Grundeigenschaft von Sprache) alle Versuche, definitorisch zu sprechen, straucheln. Texte seien daher grundsätzlich uneindeutig und nur aus ironischer Perspektive heraus (d. h. in ihrer Offenheit) zu verstehen.
Quellennachweis
Schlegel, Friedrich: Fragmente zur Poesie und Literatur. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Herausgegeben von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Sechzehnter Band. Erster Teil. Mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Hans Eichner. München – Paderborn –Wien – Zürich 1981, S. 82.
Zitate
Umberto Eco: Postille a Il nome della rosa (1983)
»Ironia, gioco metalinguistico, enunciazione al quadrato.«
»Ironie, metasprachliches Spiel, Maskerade hoch zwei.«
[Eco, Umberto: Nachschrift zum ›Namen der Rose‹. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. München – Wien 1984, S. 79.]
Charles Jencks: The Story of Post-Modernism. Five Decades of the Ironic, Iconic and Critical in Architecture (2011)
»An important truth of pluralism: the acknowledgment of difference in all its wonderful and horrible richness. With this complex truth comes a necessary mental set: irony.«
[Jencks, Charles: The Story of Post-Modernism. Five Decades of the Ironic, Iconic and Critical in Architecture Chichester 2011, S. 21.]
»Positive, enjoyable irony, not its negative and exploitative cousin, cynicism.«
[Jencks, Charles: The Story of Post-Modernism (Anm. 3), S. 21.]
Richard Rorty: Contingency, irony and solidarity (1989)
»I use ›ironist‹ to name the sort of person who faces up to the contingency of his or her own most central beliefs and desires.«
[Rorty, Richard: Contingency, irony and solidarity. New York 1989, S. xv.]
»Abandoning universalism is my way of doing justice to the claims of the ironists whom Habermas distrusts: Nietzsche, Heidegger, Derrida.«
[Rorty: Contingency, irony and solidarity (Anm. 5), S. 68.]
»I want to defend ironism, and the habit of taking literary criticism as the presiding intellectual discipline.«
[Rorty: Contingency, irony and solidarity (Anm. 5), S. 83.]
»Literary criticism does for ironists what the search for universal moral principles is supposed to do for metaphysicians.«
[Rorty: Contingency, irony and solidarity (Anm. 5), S. 80.]
»I shall define an ›ironist‹ as someone who fulfills three conditions: (I) She has radical and continuing doubts about the final vocabulary she currently uses, because she has been impressed by other vocabularies, vocabularies taken as final by people or books she has encountered; (2) she realizes that argument phrased in her present vocabulary can neither underwrite nor dissolve these doubts; (3) insofar as she philosophizes about her situation, she does not think that her vocabulary is closer to reality than others, that it is in touch with a power not herself.«
[Rorty: Contingency, irony and solidarity (Anm. 5), S. 73.]
»The opposite of irony is common sense.«
[Rorty: Contingency, irony and solidarity (Anm. 5), S. 74.]
Joseph von Eichendorff: Mondnacht (1837)
»Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nur träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus«
[Eichendorff, Joseph von: Mondnacht. In: Joseph von Eichendorff: Werke in sechs Bänden. Band I: Gedichte. Versepen. Herausgegeben von Wolfgang Frühwald, Brigitte Schillbach, Hartwig Schulz. Frankfurt am Main 1987, S. 322f.]
William Shakespeare: The Tragedy of Julius Caesar (1599)
»Marcus Antonius […] The noble Brutus
Hath told you Caesar was ambitious.
If it were so, it was a grievous fault,
And grievously hath Caesar answer’d it.
Here, under leave of Brutus and the rest,
(For Brutus is an honourable man,
So are they all, all honourable men)
Come I to speak in Caesar’s funeral.
He was my Friend, faithful and just to me;
But Brutus says he was ambitious,
And Brutus is an honourable man.
[…]
When that the poor have cried, Caesar hath wept;
Ambition should be made of sterner stuff:
Yet Brutus says he was ambitious,
And Brutus is an honourable man.
[…]
Yet Brutus says he was ambitious,
And sure he is an honourable man.«
(3. Akt, 2. Auftritt, v. 79-101)
[Shakespeare, William: Julius Caesar. Edited by Arthur Humphreys. New York (Oxford University Press) 1994, S. 178f.]
Marcus Fabius Quintilianus: Institutio oratoria IX 2, 44 (ca. 90 n. Chr.)
»contrarium ei quod dicitur intelligendum est«
›das Gegenteil von dem, was gesagt wird, ist zu verstehen‹
Friedrich Schlegel: Athenäumsfragment Nr. 53 (1798)
»Es ist gleich tödlich für den Geist, ein System zu haben, und keins zu haben. Er wird sich also wohl entschließen müssen, beides zu verbinden.«
[Schlegel, Friedrich: Fragmente [Athenäums-Fragmente]. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Herausgegeben von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Zweiter Band. Erste Abteilung: Charakteristiken und Kritiken I (1796-1801). Herausgegeben und eingeleitet von Hans Eichner. München – Paderborn –Wien – Zürich 1967, S. 165-255, hier S. 173.]
Philosophische Lehrjahre 1796-1806
»Die Ironie ist eine permanente Parekbase.«
[Schlegel, Friedrich: Philosophische Lehrjahre 1796-1806 nebst philosophischen Manuskripten aus den Jahren 1796-1828. Erster Teil. Mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Ernst Behler. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Herausgegeben von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Achtzehnter Band. München – Paderborn – Wien – Zürich 1963, S. 85.]
Über die Unverständlichkeit (1800)
»Alle höchsten Wahrheiten jeder Art sind durchaus trivial und eben darum ist nichts notwendiger als sie immer neu, und womöglich immer paradoxer auszudrücken, damit es nicht vergessen wird, daß sie noch da sind, und daß sie nie eigentlich ganz ausgesprochen werden können.«
[Friedrich Schlegel: Über die Unverständlichkeit. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Herausgegeben von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Zweiter Band. Erste Abteilung: Charakteristiken und Kritiken I (1796-1801). Herausgegeben und eingeleitet von Hans Eichner. München – Paderborn –Wien – Zürich 1967, S. 363-372, hier S. 366.]
Heinrich Heine: Das Fräulein stand am Meere (1833)
»Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
›Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.‹«
[Heinrich Heine: Neue Gedichte. Verschiedene – Seraphine. In: Heinrich Heine: Sekulärausgabe. Bd. 2: Gedichte 1827-1844 und Versepen. Hg. Stiftung Weimarer Klassik und dem Centre National de la Recherche Scientifique in Paris. Berlin / Paris 1979, S. 26-67, hier S. 30.]
Ludwig Tieck: Die verkehrte Welt (1800)
(Der Vorhang geht auf. Das Theater stellt ein Theater vor.)
(Der Epilogus tritt auf.)
EPILOGUS: Nun, meine Herren, wie hat euch unser Schauspiel gefallen? Es war freilich nicht viel, indessen da ihr alles zu nehmen gewohnt seid, so war es doch immer des Annehmens wert. Man kann nicht alle Tage neu sein, und wenn man es sein könnte, würde man doch nicht alle Tage vortrefflich sein; ja sollten wir es selbst dahin bringen, alle Tage vortrefflich zu sein, so würden wir dann gewiss die Alltäglichkeit nicht mehr vortrefflich finden, sondern das Armselige käme dann gewiss zu der Ehre, für vortrefflich zu gelten.
Ihr müsst euch übrigens darüber nicht verwundern, dass ihr das Stück noch gar nicht gesehn habt, denn hoffentlich seid ihr doch insoweit gebildet, dass das bei euch nichts zur Sache tut, um darüber zu urteilen.
[Ludwig Tieck: Die verkehrte Welt. Ein historisches Schauspiel in fünf Aufzügen. Herausgegeben von Walter Münz. Stuttgart 1996, S. 9f.]
Friedrich Schlegel: Philosophische Lehrjahre
»Alles was sich nicht selbst annihilirt, ist nicht frei und nichts werth. –«
[Friedrich Schlegel: Fragmente zur Poesie und Literatur. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Herausgegeben von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Sechzehnter Band. Erster Teil. Mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Hans Eichner. München – Paderborn –Wien – Zürich 1981, S. 82.]
Paul de Man: The Concept of Irony (1979)
»Definitional language seems to be in trouble when irony is concerned.«
[Man, Paul de: The Concept of Irony. In: Man, Paul de: Aesthetic Ideology. Edited and with an Introduction by Andrzej Warminski. Minneapolis – London 2/1997, S. 163-184, hier S. 165.]
»Is irony a trope? Traditionally, of course, it is, but: is it a trope?«
[Man: The Concept of Irony (Anm. 19), S. 164.]
»Irony seems to be the trope of tropes, the one that names the term as the ›turning away‹ […].«
[Man: The Concept of Irony (Anm. 19), S. 165.]
»[…] if irony is of understanding, no understanding of irony will ever be able to control irony and to stop it, […], and if this is indeed the case that what is at stake in irony is the possibility of understanding, the possibility of reading, the readability of texts, the possibility of deciding on a meaning or on a multiple set of meanings or on a controlled polysemy of meanings, then we can see that irony would indeed be very dangerous. There would be in irony something very threatening, against which interpreters of literature, who have a stake in the understandability of literature, would want to put themselves on their guard – very legitimate to want […] to stop, to stabilize, to control the trope.«
[Man: The Concept of Irony (Anm. 19), S. 167.]
Friedrich Schlegel: Über die Unverständlichkeit
»Mit der Ironie ist durchaus nicht zu scherzen.«
[Schlegel: Über die Unverständlichkeit. (Anm. 15), S. 370.]
Jaques Derrida: Marges de la philosophie
»[…] sans nostalgie […]«
[Derrida, Jacques: La différance. In: Derrida, Jacques: Marges de la philosophie. Paris 1972, S. 1-29, hier S. 29.]