Vorlesung: Die Literatur des 19. Jahrhunderts (SoSe 2016)
Prof. Dr. Albert Meier
Heinrich Heine
Heinrich Heine (1797-1856) gilt als ›entlaufener Romantiker‹ mit dem Anspruch, aus der Romantik heraus eine Poesie der Moderne zu entwickeln. Diese Haltung ist von der Erkenntnis geprägt, dass die Technisierung der Welt im 19. Jahrhundert eine Fortsetzung des herkömmlichen Dichtens nicht mehr zulässt.
Gegenwartskritik und Komik
Sein künstlerischer ›Durchbruch‹ ist Heine mit den Reisebildern (1826-31) gelungen, in denen er eine stets subjektive, aber sozialkritisch fundierte Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Lebenswelt in Norditalien, an der Nordsee oder im Harz führt (bzw. mit den auf diese Gegenden bezogenen Kultur-Topoi).
Heines Schreibstil ist durch konsequnetes Arbeiten mit ›witzigen‹ (= geistreichen) Kontrasten geprägt: So stellt er in dem Gedicht Nachtgedanken (1844) dem ›sorgenvollen‹ Deutschland das ›heitere‹ Frankreich gegenüber und bricht die politische Anmutung des Gedichtanfangs in der daran anschließenden Hinwendung zur konkreten Privatheit. Daneben adaptiert er in zahlreichen Werken romantische Stilprinzipien und bricht sie doch zugleich, indem er durch planvolle Stil-Übertreibung (Diminutiv-Häufung und falsch-altertümelnde Verbformen) das etablierte Pathos romantischer Poesie persifliert.
Die romantische Schule (1856)
In dieser literaturhistorischen (bzw. literaturkritischen) Abhandlung reagiert Heine auf Anne Louise Germaine de Staël-Holstein, die in De l’Allemagne (1810/13) dem französischen Publikum die deutschen Romantiker und das Weimar des frühen 19. Jahrhunderts nahegebracht hat. Heines Darstellung ist zunächst ebenfalls primär an französische Leser gerichtet. Er attackiert darin in bewusster Polemik die Romantik als sterile ›Kunstperiode‹ (im Gefolge der ›Autonomie-Ästhetik ‹Goethes) und diskreditiert sie als Wiedererweckung der Poesie des Mittelalters im Interesse eines Rückfalls in den vorreformatorischen Katholizismus zugunsten des Ancien Régime.
Unter dem Eindruck der frühsozialistischen Ideen des zeitgenössischen ›Saint-Simonismus‹ polemisiert Heine gegen den ›Spiritualismus‹ der Gegenwartsliteratur in Deutschland und propagiert demgegenüber den Sensualismus, d. h. eine entschiedene Ausrichtung am Diesseits.
Vor allem die Brüder Friedrich und August Wilhelm Schlegel werden mit boshaftem Witz als Hauptschuldige an der reaktionären Fehlentwicklung der deutschen Kultur angeklagt. Zugleich trifft Goethe der Vorwurf, »Angst vor jedem selbständigen Originalschriftsteller« gehabt und nur mittelmäßige Dichter gefördert zu haben; immerhin habe sich Goethe mit dem Aufsatz Neudeutsch-religiös-patriotische Kunst (1817, verfasst von Johann Heinrich Meyer) spät doch noch mit Nachdruck gegen die falsche Romantik gewendet und so den Anstoß zu einem besseren Neuanfang gegeben.
Quellennachweis
Heine als ,entlaufener Romantiker’ …
Vgl. Heinrich Heine: Geständnisse. In: Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, herausgegeben von Manfred Windfuhr im Auftrag der Landeshauptstadt Düsseldorf. Band 15: Geständnisse / Memoiren / kleinere autobiographische Schriften. Bearbeitet von Gerd Heinemann. Hamburg 1982, S. 9-57, hier S. 13.
Zitate
Heinrich Heine: Buch der Lieder (1824)
»Ich weiß nicht was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Märchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.« (v. 1-4)
[Heine, Heinrich: Buch der Lieder. In: Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften. 6 Bände. München 1968-76. Herausgegeben von Klaus Briegleb. Band 1: Schriften 1817-1840, S. 7-212, hier S. 107.]
Clemens Brentano: Zu Bacharach am Rheine (18XX)
»Zu Bacharach am Rheine
Wohnt eine Zauberin,
Sie war schön und feine
Und riß viel Herzen hin.
Und brachte viel zu schanden
Der Männer rings umher,
Aus ihren Liebesbanden
War keine Rettung mehr.« (v. 1-8)
[Brentano, Clemens: [Zu Bacharach am Rheine]. In: Brentano, Clemens: Werke. Erster Band: Gedichte / Romanzen vom Rosenkranz. Herausgegeben von Wolfgang Frühwald, Bernhard Gajek und Friedhelm Kemp. München 1968, S. 112-115, hier S. 112.]
Heinrich Heine: Aufzeichnungen (1851-55)
»Um meine Wiege spielten die letzten Mondlichter des achtzehnten und das erste Morgenrot des neunzehnten Jahrhunderts.«
[Heine, Heinrich: Aufzeichnungen. In: Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften. 6 Bände. München 1968-76. Herausgegeben von Klaus Briegleb. Band 6/1: Schriften 1851-1855, S. 611-669, hier S. 645.]
Heinrich Heine an Karl August Varnhagen zu Ense, 3. 1. 1846
»Das tausendjährige Reich der Romantik hat ein Ende, und ich selbst war sein letzter und abgedankter Fabelkönig. Hätte ich nicht die Krone vom Haupte fortgeschmissen und den Kittel angezogen, sie hätten mich richtig geköpft.
[…] Sie haben gleich mir die alte Zeit begraben helfen und bei der neuen Hebammendienst geleistet − ja, wir haben sie zu Tage gefördert und erschrecken − Es geht uns wie dem armen Huhn das Enteneier ausgebrütet hat und mit Entsetzen sieht wie die junge Brut sich ins Wasser stürzt und wohlgefällig schwimmt.«
[Heine, Heinrich: Briefe. Erste Gesamtausgabe nach den Handschriften. Herausgegeben, eingeleitet und erläutert von Friedrich Hirth. Dritter Band 3: Briefe 1845-1856. Mainz 1950, S. 35-37, hier S. 36.]
Heinrich Heine: Aveux de lʼauteur (1854)
»L’ancienne école lyrique allemande a pris fin avec moi, tandis que j’inaugurai en même temps la nouvelle école, la poésie lyrique moderne de l’Allemagne.«
[Heine, Heinrich: Aveux de l’auteur. In: Heine, Heinrich: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke herausgegeben von Manfred Windfuhr im Auftrag der Landeshauptstadt Düsseldorf. Band 15: Geständnisse, Memoiren und Kleinere autobiographische Schriften. Bearbeitet von Gerd Heinemann. Hamburg 1982, S. 121–165, hier S. 121.]
Heinrich Heine: Geständnisse (1854)
»Nachdem ich dem Sinne für romantische Poesie in Deutschland die tödlichsten Schläge beigebracht, beschlich mich selbst wieder eine unendliche Sehnsucht nach der blauen Blume im Traumlande der Romantik, und ich ergriff die bezauberte Laute und sang ein Lied, worin ich mich allen holdseligen Übertreibungen, aller Mondscheintrunkenheit, allem blühenden Nachtigallen-Wahnsinn der einst so geliebten Weise hingab. Ich weiß, es war ›das letzte freie Waldlied der Romantik‹, und ich bin ihr letzter Dichter: mit mir ist die alte lyrische Schule der Deutschen geschlossen, während zugleich die neue Schule, die moderne deutsche Lyrik, von mir eröffnet ward.«
[Heine, Heinrich: Geständnisse. In: Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften. 6 Bände. München 1968-76. Herausgegeben von Klaus Briegleb. Band 6/1: Schriften 1851-1855, S. 443-501, hier S. 447. ]
Heinrich Heine: Aufzeichnungen (1854)
»Die höchste Blüte des deutschen Geistes: Philosophie und Lied − Die Zeit ist vorbei, es gehörte dazu die idyllische Ruhe, Deutschland ist fortgerissen in die Bewegung − der Gedanke ist nicht mehr uneigennützig, in seine abstrakte Welt stürzt die rohe Tatsache − Der Dampfwagen der Eisenbahn gibt uns eine zittrige Gemütserschütterung, wobei kein Lied aufgehen kann, der Kohlendampf verscheucht die Sangesvögel und der Gasbeleuchtungsgestank verdirbt die duftige Mondnacht.«
[Heine: Aufzeichnungen (Anm. 5), S. 649.]
Heinrich Heine: Die Harzreise (1824)
»Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität […].«
[Heine, Heinrich: Die Harzreise (1824). In: Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften. 6 Bände. München 1968-76. Herausgegeben von Klaus Briegleb. Band 2: Schriften 1822-1831, S. 101-166, hier S. 103.]
Heinrich Heine: Nachtgedanken (1844)
»Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen.
Und meine heißen Tränen fließen.
[…]
Nach Deutschland lechzt ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mutter dorten wäre;
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben.
[…]
Gottlob! durch meine Fenster bricht
Französisch heitres Tageslicht;
Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen,
Und lächelt fort die deutschen Sorgen.«
[Heine, Heinrich: Neue Gedichte. In: Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften. 6 Bände. München 1968-76. Herausgegeben von Klaus Briegleb. Band 4: Schriften 1837-1844, S. 295-433, hier S. 432f.]
Heinrich Heine: Buch der Lieder (1824)
»Die blauen Veilchen der Äugelein,
Die roten Rosen der Wängelein,
Die weißen Liljen der Händchen klein,
Die blühen und blühen noch immerfort,
Und nur das Herzchen ist verdorrt.«
[Heine: Buch der Lieder (Anm. 3), S. 87.]
Heinrich Heine: Neue Gedichte (1844)
»Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.«
[Heine: Neue Gedichte (Anm. 11), S. 327.]
Friedrich Hebbel: Tagebücher. 1854/Nr. 5245
»Heines Ironie besteht sehr oft darin, daß er erst den Kopf und dann den Hintern zeigt.«
[Hebbel, Friedrich. Werke. Herausgegeben von Gerhard Fricke, Werner Keller und Karl Pörnbacher. Band 5: Tagebücher II. Briefe. München 1967, S. 142.]
Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermärchen (1844)
»Im traurigen Monat November wars,
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist ich nach Deutschland hinüber.
Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar
Die Augen begunnen zu tropfen.
Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zumute;
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
Recht angenehm verblute.
Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von ihrem Spiele.
Sie sang von Liebe und Liebesgram,
Aufopfrung und Wiederfinden
Dort oben, in jener besseren Welt,
Wo alle Leiden schwinden.
Sie sang vom irdischen Jammertal,
Von Freuden, die bald zerronnen,
Vom jenseits, wo die Seele schwelgt
Verklärt in ewgen Wonnen.
Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.
Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.
Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.
Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.
Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.« (Caput I, v. 1-48)
[Heine, Heinrich: Deutschland. Ein Wintermärchen. In: Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften. 6 Bände. München 1968-76. Herausgegeben von Klaus Briegleb. Band 4: Schriften 1837-1844, S. 571-644, hier S. 577f.]
Heinrich Heine: Zur Religion und Philosophie in Deutschland (1834)
»Das große Wort der Revolution, das Saint-Just ausgesprochen: le pain est le droit du peuple, lautet bei uns: le pain est le droit divin de l’homme. Wir kämpfen nicht für die Menschenrechte des Volkes, sondern für die Gottesrechte des Menschen. Hierin […] unterscheiden wir uns von den Männern der Revolution. Wir wollen keine Sanskülotten sein, […] wir stiften eine Demokratie gleichherrlicher, gleichheiliger, gleichbeseligter Götter.
Ihr verlangt einfache Trachten, enthaltsame Sitten und ungewürzte Genüsse; wir hingegen verlangen Nektar und Ambrosia, Purpurmäntel, kostbare Wohlgerüche, Wollust und Pracht, lachenden Nymphentanz, Musik und Komödien.«
[Heine, Heinrich: Zur Religion und Philosophie in Deutschland. In: Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften. 6 Bände. München 1968-76. Herausgegeben von Klaus Briegleb. Band 3: Schriften 1831-1837, S. 571-644, hier S. 570.]
Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermärchen (1844)
»Ein neues Lied, ein besseres Lied!
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Das Miserere ist vorbei,
Die Sterbeglocken schweigen.
Die Jungfer Europa ist verlobt
Mit dem schönen Geniusse
Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,
Sie schwelgen im ersten Kusse.
Und fehlt der Pfaffensegen dabei,
Die Ehe wird gültig nicht minder –
Es lebe Bräutigam und Braut,
Und ihre zukünftigen Kinder!
Ein Hochzeitkarmen ist mein Lied,
Das bessere, das neue!
In meiner Seele gehen auf
Die Sterne der höchsten Weihe –
Begeisterte Sterne, sie lodern wild,
Zerfließen in Flammenbächen –
Ich fühle mich wunderbar erstarkt,
Ich könnte Eichen zerbrechen!
Seit ich auf deutsche Erde trat,
Durchströmen mich Zaubersäfte –
Der Riese hat wieder die Mutter berührt,
Und es wuchsen ihm neu die Kräfte. (Caput I, v. 53-76)
Caput II
Während die Kleine von Himmelslust
Getrillert und musizieret,
Ward von den preußischen Douaniers
Mein Koffer visitieret.« (Caput II, v. 1-4)
[Heine: Deutschland. Ein Wintermärchen (Anm. 15), S. 578f.]
Heinrich Heine: Die romantische Schule (1835)
»Die Endschaft der ›Goetheschen Kunstperiode‹, mit welchem Namen ich diese Periode zuerst bezeichnete, habe ich jedoch schon seit vielen Jahren vorausgesagt. Ich hatte gut prophezeien! Ich kannte sehr gut die Mittel und Wege jener Unzufriedenen, die dem Goetheschen Kunstreich ein Ende machen wollten, und in den damaligen Emeuten gegen Goethe will man sogar mich selbst gesehen haben. Nun Goethe tot ist, bemächtigt sich meiner darob ein wunderbarer Schmerz.«
[Heine: Die romantische Schule (Anm. 1), S. 395.]
»Das Beispiel des Meisters leitete die Jünger, und in Deutschland entstand dadurch jene literarische Periode, die ich einst als »die Kunstperiode« bezeichnet, und wobei ich den nachteiligen Einfluss auf die politische Entwicklung des deutschen Volkes nachgewiesen habe. Keineswegs jedoch leugnete ich bei dieser Gelegenheit den selbständigen Wert der Goetheschen Meisterwerke. Sie zieren unser teueres Vaterland, wie schöne Statuen einen Garten zieren, aber es sind Statuen. Man kann sich darin verlieben, aber sie sind unfruchtbar: die Goetheschen Dichtungen bringen nicht die Tat hervor, wie die Schillerschen. Die Tat ist das Kind des Wortes, und die Goetheschen schönen Worte sind kinderlos. Die Statue, die der Pygmalion verfertigt, war ein schönes Weib, sogar der Meister verliebte sich darin, sie wurde lebendig unter seinen Küssen, aber soviel wir wissen hat sie nie Kinder bekommen.«
[Heine: Die romantische Schule (Anm. 1), S. 395.]
»Was aber war die romantische Schule in Deutschland? | Sie war nichts anders als die Wiedererweckung der Poesie des Mittelalters, wie sie sich in dessen Liedern, Bild- und Bauwerken, in Kunst und Leben manifestiert hatte. Diese Poesie aber war aus dem Christentume hervorgegangen, sie war eine Passionsblume, die dem Blute Christi entsprossen.«
[Heine: Die romantische Schule (Anm. 1), S. 361.]
»Eben weil wir alle Konsequenzen jenes absoluten Spiritualismus jetzt so ganz begreifen, dürfen wir auch glauben, daß die christkatholische Weltansicht ihre Endschaft erreicht. Denn jede Zeit ist eine Sphinx, die sich in den Abgrund stürzt, sobald man ihr Rätsel gelöst hat.«
[Heine: Die romantische Schule (Anm. 1), S. 362.]
»[…] ich spreche von jener Religion, durch deren unnatürliche Aufgabe ganz eigentlich die Sünde und die Hypokrisie in die Welt gekommen, indem eben, durch die Verdammnis des Fleisches, die unschuldigsten Sinnenfreuden eine Sünde geworden und durch die Unmöglichkeit ganz Geist zu sein die Hypokrisie sich ausbilden mußte; ich spreche von jener Religion, die ebenfalls durch die Lehre von der Verwerflichkeit aller irdischen Güter, von der auferlegten Hundedemut und Engelsgeduld, die erprobteste Stütze des Despotismus geworden«
[Heine: Die romantische Schule (Anm. 1), S. 362.]
»Der Unterschied [von klassischer und romantischer Kunst] besteht darin, daß die plastischen Gestalten in der antiken Kunst ganz identisch sind mit dem Darzustellenden, mit der Idee die der Künstler darstellen wollte, z. B. daß die Irrfahrten des Odysseus gar nichts anders bedeuten als die Irrfahrten des Mannes, der ein Sohn des Laertes und Gemahl der Penelopeya war und Odysseus hieß; dass ferner der Bacchus, den wir im Louvre sehen, nichts anders ist als der anmutige Sohn der Semele mit der kühnen Wehmut in den Augen und der heiligen Wollust in den gewölbt weichen Lippen. Anders ist es in der romantischen Kunst; da haben die Irrfahrten eines Ritters noch eine esoterische Bedeutung, sie deuten vielleicht auf die Irrfahrten des Lebens überhaupt; der Drache, der überwunden wird, ist die Sünde; der Mandelbaum, der dem Helden aus der Ferne tröstlich zuduftet, das ist die Dreieinigkeit, Gott Vater und Gott Sohn und Gott Heiliger Geist, die zugleich eins ausmachen, wie Nuß, Faser und Kern dieselbe Mandel sind.«
[Heine: Die romantische Schule (Anm. 1), S. 367.]
»Aber die Künste sind nur der Spiegel des Lebens, und wie im Leben der Katholizismus erlosch, so verhallte und erblich er auch in der Kunst. Zur Zeit der Reformation schwand allmählich die katholische Poesie in Europa, und an ihre Stelle sehen wir die längst abgestorbene griechische Poesie wieder aufleben. Es war freilich nur ein künstlicher Frühling, ein Werk des Gärtners und nicht der Sonne, und die Bäume und Blumen steckten in engen Töpfen, und ein Glashimmel schützte sie vor Kälte und Nordwind. | […] in der Kunst wie im Leben regte sich ein gleichzeitiger Protestantismus; Leo X., der prächtige Mediceer, war ein ebenso eifriger Protestant wie Luther; und wie man zu Wittenberg in lateinischer Prosa protestierte, so protestierte man zu Rom in Stein, Farbe und Ottaverime. Oder bilden die marmornen Kraftgestalten des Michelangelo, die lachenden Nymphengesichter des Giulio Romano und die lebenstrunkene Heiterkeit in den Versen des Meisters Ludovico nicht einen protestierenden Gegensatz zu dem altdüstern, abgehärmten Katholizismus? Die Maler Italiens polemisierten gegen das Pfaffentum vielleicht weit wirksamer als die sächsischen Theologen. Das blühende Fleisch auf den Gemälden des Tizian, das ist alles Protestantismus. Die Lenden seiner Venus sind viel gründlichere Thesen als die, welche der deutsche Mönch an die Kirchentüre von Wittenberg angeklebt.«
[Heine: Die romantische Schule (Anm. 1), S. 370.]
»In der Polemik, in jenem Aufdecken der artistischen Mängel und Gebrechen, waren die Herren Schlegel durchaus die Nachahmer des alten Lessings, sie bemächtigten sich seines großen Schlachtschwerts; nur war der Arm des Herren August Wilhelm Schlegel viel zu zart schwächlich und das Auge seines Bruders Friedrich viel zu mystisch umwölkt, als daß jener so stark und dieser so scharftreffend zuschlagen konnte wie Lessing.«
[Heine: Die romantische Schule (Anm. 1), S. 374.]
»Wenn aber die Herren Schlegel für die Meisterwerke, die sie sich bei den Poeten ihrer Schule bestellten, keine feste Theorie angeben konnten, so ersetzten sie diesen Mangel dadurch, dass sie die besten Kunstwerke der Vergangenheit als Muster anpriesen und ihren Schülern zugänglich machten. Dieses waren nun hauptsächlich die Werke der christlich-katholischen Kunst des Mittelalters.«
[Heine: Die romantische Schule (Anm. 1), S. 375.]
»Unsere Poesie, sagten die Herren Schlegel, ist alt, unsere Muse ist ein altes Weib mit einem Spinnrocken, unser Amor ist kein blonder Knabe, sondern ein verschrumpfter Zwerg mit grauen Haaren, unsere Gefühle sind abgewelkt, unsere Phantasie ist verdorrt: wir müssen uns erfrischen, wir müssen die verschütteten Quellen der naiven einfältiglichen Poesie des Mittelalters wieder aufsuchen, da sprudelt uns entgegen der Trank der Verjüngung.«
[Heine: Die romantische Schule (Anm. 1), S. 376.]
»In der Periode wo dieser Kampf vorbereitet wurde, musste eine Schule, die dem französischen Wesen feindlich gesinnt war und alles deutsch Volkstümliche in Kunst und Leben hervorrühmte, ihr trefflichstes Gedeihen finden. Die romantische Schule ging damals Hand in Hand mit dem Streben der Regierungen und der geheimen Gesellschaften, und Herr A. W. Schlegel konspirierte gegen Racine zu demselben Ziel, wie der Minister Stein gegen Napoleon konspirierte. Die Schule schwamm mit dem Strom der Zeit, nämlich mit dem Strom, der nach seiner Quelle zurückströmte. […] Napoleon, der große Klassiker, der so klassisch wie Alexander und Cäsar, stürzte zu Boden, und die Herren August Wilhelm und Friedrich Schlegel, die kleinen Romantiker, die eben so romantisch wie das Däumchen und der gestiefelte Kater, erhoben sich als Sieger.«
[Heine: Die romantische Schule (Anm. 1), S. 379f.]
»Wurde nun die romantische Schule durch die Enthüllung der katholischen Umtriebe in der öffentlichen Meinung zugrunde gerichtet, so erlitt sie gleichzeitig in ihrem eigenen Tempel einen vernichtenden Einspruch, und zwar aus dem Munde eines jener Götter, die sie selbst dort aufgestellt. Nämlich Wolfgang Goethe trat von seinem Postamente herab und sprach das Verdammnisurteil über die Herren Schlegel, über dieselben Oberpriester, die ihn mit so viel Weihrauch umduftet. Diese Stimme vernichtete den ganzen Spuk; die Gespenster des Mittelalters entflohen; die Eulen verkrochen sich wieder in die obskuren Burgtrümmer; die Raben flatterten wieder nach ihren alten Kirchtürmen; Friedrich Schlegel ging nach Wien, wo er täglich Messe hörte und gebratene Hähndel aß; Herr August Wilhelm Schlegel zog sich zurück in die Pagode des Brahma.«
[Heine: Die romantische Schule (Anm. 1), S. 387f.]
»Offen gestanden, Goethe hat damals eine sehr zweideutige Rolle gespielt und man kann ihn nicht unbedingt loben. […]«
[Heine: Die romantische Schule (Anm. 1), S. 388.]
»Goethe hatte Angst vor jedem selbständigen Originalschriftsteller und lobte und pries alle unbedeutende Kleingeister; ja er trieb dieses so weit, dass es endlich für ein Brevet der Mittelmäßigkeit galt, von Goethe gelobt worden zu sein.«
[Heine: Die romantische Schule (Anm. 1), S. 390.]
»[Die Goetheaner betrachten] die Kunst als eine unabhängige zweite Welt, die sie so hoch stellen, dass alles Treiben der Menschen, ihre Religion und ihre Moral, wechselnd und wandelbar, unter ihr hin sich bewegt. Ich kann aber dieser Ansicht nicht unbedingt huldigen; die Goetheaner ließen sich dadurch verleiten, die Kunst selbst als das Höchste zu proklamieren und von den Ansprüchen jener ersten wirklichen Welt, welcher doch der Vorrang gebührt, sich abzuwenden. Schiller hat sich jener ersten Welt viel bestimmter angeschlossen als Goethe, und wir müssen ihn in dieser Hinsicht loben.«
[Heine: Die romantische Schule (Anm. 1), S. 393.]
Heinrich Heine: Aveux de l’auteur (1854)
»Un Français spirituel […] me nomma un jour un romantique défroqué. J’ai un faible pour tout ce qui est esprit, et quelque malicieuse qu’ait été cette dénomination, elle m’a beaucoup amusé. Elle est juste. Malgré mes campagnes exterminatrices contre le romantisme, je restai moi-même toujours un poète romantique, et je l’étais à un plus haut degré que je ne m’en doutais moi-même.«
[Heine: Aveux de l’auteur (Anm. 7), S. 121.]
Heinrich Heine: Geständnisse (1854)
»Ein geistreicher Franzose – vor einigen Jahren hätten diese Worte einen Pleonasmus gebildet – nannte mich einst einen romantique défroqúé [entlaufenen Romantiker]. Ich hege eine Schwäche für alles was Geist ist, und so boshaft die Benennung war, hat sie mich dennoch höchlich ergötzt. Sie ist treffend. Trotz meiner exterminatorischen Feldzüge gegen die Romantik, blieb ich doch selbst immer ein Romantiker, und ich war es in einem höhern Grade, als ich selbst ahnte.«
[Heine: Geständnisse (Anm. 8), S. 447.]
Heinrich Heine: Apollogott (1851)
»I.
Das Kloster ist hoch auf Felsen gebaut,
Der Rhein vorüberrauschet;
Wohl durch das Gitterfenster schaut
Die junge Nonne und lauschet.
Da fährt ein Schifflein, märchenhaft
Vom Abendrot beglänzet;
Es ist bewimpelt von buntem Taft,
Von Lorbeern und Blumen bekränzet.
Ein schöner blondgelockter Fant
Steht in des Schiffes Mitte;
Sein goldgesticktes Purpurgewand
Ist von antikem Schnitte.
Zu seinen Füßen liegen da
Neun marmorschöne Weiber;
Die hochgeschürzte Tunika
Umschließt die schlanken Leiber.
Der Goldgelockte lieblich singt
Und spielt dazu die Leier;
Ins Herz der armen Nonne dringt
Das Lied und brennt wie Feuer.
Sie schlägt ein Kreuz, und noch einmal
Schlägt sie ein Kreuz, die Nonne;
Nicht scheucht das Kreuz die süße Qual,
Nicht bannt es die bittre Wonne.
II.
Ich bin der Gott der Musika,
Verehrt in allen Landen;
Mein Tempel hat in Gräcia
Auf Mont-Parnaß gestanden.
Auf Mont-Parnaß in Gräcia,
Da hab ich oft gesessen
Am holden Quell Kastalia,
Im Schatten der Zypressen.
Vokalisierend saßen da
Um mich herum die Töchter,
Das sang und klang la-la, la-la!
Geplauder und Gelächter.
Mitunter rief tra-ra, tra-ra!
Ein Waldhorn aus dem Holze;
Dort jagte Artemisia,
Mein Schwesterlein, die Stolze.
Ich weiß es nicht, wie mir geschah:
Ich brauchte nur zu nippen
Vom Wasser der Kastalia,
Da tönten meine Lippen.
Ich sang – und wie von selbst beinah
Die Leier klang, berauschend
Mir war, als ob ich Daphne sah,
Aus Lorbeerbüschen lauschend.
Ich sang – und wie Ambrosia
Wohlrüche sich ergossen,
Es war von einer Gloria
Die ganze Welt umflossen.
Wohl tausend Jahr’ aus Gräcia
Bin ich verbannt, vertrieben –
Doch ist mein Herz in Gräcia,
In Gräcia geblieben.«
III.
In der Tracht der Beguinen,
In dem Mantel mit der Kappe
Von der gröbsten schwarzen Serge,
Ist vermummt die junge Nonne.
Hastig längs des Rheines Ufern
Schreitet sie hinab die Landstraß’,
Die nach Holland führt, und hastig
Fragt sie jeden, der vorbeikommt:
»Habt Ihr nicht gesehn Apollo?
Einen roten Mantel trägt er,
Lieblich singt er, spielt die Leier,
Und er ist mein holder Abgott.«
Keiner will ihr Rede stehen,
Mancher dreht ihr stumm den Rücken,
Mancher glotzt sie an und lächelt,
Mancher seufzet: »Armes Kind!«
Doch des Wegs herangetrottelt
Kommt ein schlottrig alter Mensch,
Fingert in der Luft, wie rechnend,
Näselnd singt er vor sich hin.
Einen schlappen Quersack trägt er,
Auch ein klein dreieckig Hütchen;
Und mit schmunzelnd klugen Äuglein
Hört er an den Spruch der Nonne:
»Habt Ihr nicht gesehn Apollo?
Einen roten Mantel trägt er,
Lieblich singt er, spielt die Leier,
Und er ist mein holder Abgott.«
Jener aber gab zur Antwort,
Während er sein Köpfchen wiegte
Hin und her, und gar possierlich
Zupfte an dem spitzen Bärtchen:
Ob ich ihn gesehen habe?
Ja, ich habe ihm gesehen
Oft genug zu Amsterdam,
In der deutschen Synagoge.
Denn er war Vorsänger dorten,
Und da hieß er Rabbi Faibisch,
Was auf Hochdeutsch heiße Apollo –
Doch mein Abgott ist er nicht.
Roter Mantel? Auch den roten
Mantel kenn ich. Echter Scharlach,
Kostet acht Florin die Elle,
Und ist noch nicht ganz bezahlt.
Seinen Vater Moses Jitscher
Kenn ich gut. Vorhautabschneider
Ist er bei den Portugiesen.
Er beschnitt auch Souveräne.
Seine Mutter ist Cousine
Meines Schwagers, und sie handelt
Auf der Gracht mit sauern Gurken
Und mit abgelebten Hosen.
Haben kein Pläsier am Sohne.
Dieser spielt sehr gut die Leier,
Aber leider noch viel besser
Spielt er oft Tarock und L’hombre.
Auch ein Freigeist ist er, aß
Schweinefleisch, verlor sein Amt,
Und er zog herum im Lande
Mit geschminkten Komödianten.
In den Buden, auf den Märkten,
Spielte er den Pickelhering,
Holofernes, König David,
Diesen mit dem besten Beifall.
Denn des Königs eigne Lieder
Sang er in des Königs eigner
Muttersprache, tremulierend
In des Nigens alter Weise.
Aus dem Amsterdamer Spielhuis
Zog er jüngst etwelche Dirnen,
Und mit diesen Musen zieht er
Jetzt herum als ein Apollo.
Eine dicke ist darunter,
Die vorzüglich quiekt und grünzelt;
Ob dem großen Lorbeerkopfputz
Nennt man sie die grüne Sau.«
[Heine, Heinrich: Romanzero. In: Heine, Heinrich: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. In Verbindung mit dem Heinrich-HeineInstitut herausgegeben von Manfred Windfuhr. Band 3/1: Romanzero. Gedichte. 1853 und 1854. Lyrischer Nachlass. Text. Bearbeitet von Frauke Bartelt und Alberto Destro. Hamburg 1992, S. 32-36.]
Heinrich Heine: Buch der Lieder (1824)
»Herz, mein Herz, sei nicht beklommen,
Und ertrage dein Geschick,
Neuer Frühling gibt zurück,
Was der Winter dir genommen.
Und wie viel ist dir geblieben!
Und wie schön ist noch die Welt!
Und, mein Herz, was dir gefällt,
Alles, alles darfst du lieben!«
[Heine: Buch der Lieder (Anm. 3), S. 131.]