Merkmale postmoderner Ästhetik
Augenfällig wie nirgendwo sonst opponiert die Postmoderne der Moderne in der Architektur. Hat der Deutsch-Amerikaner Ludwig Mies van der Rohe in den 1950er Jahren den Standard rigoroser Schlichtheit unter der Parole ›Less is more‹ durchgesetzt, bringt Robert Venturis Wortspiel den postmodernen Überdruss an solcher Kargheit zur Geltung: ›less is a bore‹.[1] Modernistischer Normativität steht nun das Plädoyer für Offenheit und Vielfalt entgegen; Ornamente sind dort wieder erlaubt, wo zuvor Schmucklosigkeit geboten war; die Freude an geistreicher Verspieltheit verdrängt Nüchternheit und Strenge. Zwei Hochhäuser in New York verkörpern die gegensätzlichen Prinzipien mustergültig: Mies van der Rohes ›modernes‹ Seagram Building (1958 fertiggestellt) und Philip Johnsons Sony Building (auch Sony Tower; ursprünglich AT&T Building, 1984 eröffnet), das als Prototyp architektonischer Postmoderne den Geltungsanspruch des Seagram Building parodiert.
Als Inbegriff der sich immer gleichenden Glaskästen Mies van der Rohes (Tom Wolfe verschreibt den Namen treffend als ›Mies van der row‹)[2] ist das knapp 157 m hohe Seagram Building stilbildend gewesen. In der ostentativen Selbstbescheidung des International Style erscheint der von einem kanadischen Spirituosen-Konzern in Auftrag gegebene Bau mit seiner Glasfassade im Bernstein- (bzw. Whisky-)Ton als makelloser Quader aus Beton und Stahl, dessen ansonsten glatte Front ein bronzefarbenes Gitter geometrisch gliedert: Horizontale ›Riegel‹ trennen die 37 Etagen voneinander, während vertikale ›Pfosten‹ das innere Stahlkorsett nach außen spiegeln. Die imposante Regelmäßigkeit des Gesamteindrucks wird dadurch noch hervorgehoben, dass die Jalousien nur drei Varianten zulassen: geschlossen – halboffen – offen.
Als Ganzes stellt sich das Seagram Building in einer diskreten Dreiteiligkeit dar. Über dem unauffälligen, ebenfalls bronzefarbenen und säulengestützten Sockel erhebt sich der schlanke Schaft und findet seinen Abschluss in einem Deckel. Diese Gliederung wiederholt sich im Sony Building (550 Madison Avenue) des schon am Seagram Building beteiligten Philip Johnson (jetzt gemeinsam mit John Burgee), das die in der ›Miesian box‹ kaschierten Strukturelemente nach außen wendet: »It has a modernist body standing on classical feet and sports a variously defined ornament as a head«.[3] Das seinerzeit vom Fernmelde-Konzern AT&T in Auftrag gegebene Gebäude ist mit 197,5 m zwar erheblich höher als das Seagram Building, ähnelt ihm aber in den Proportionen und nimmt nicht zuletzt in der gleichen Zahl von Etagen (37) deutlich Bezug auf dieses Gegenmodell. Der ebenfalls regelmäßige Schaft des Sony Building lockert die rigide Gleichförmigkeit der Seagram-Fassade durch variierende Fenster-Formate (achsensymmetrisch organisiert) auf und erinnert mit seiner Rückkehr zur grau-rosa Granit-Verkleidung an das Bauen, wie es vor dem Siegeszug des modernistischen Glases auf Manhattan üblich gewesen war. Vor allem kehrt der markante Dach-Aufsatz zu der durch Mies van der Rohes Minimalismus verdrängten Praxis zurück, Wolkenkratzer in einer mehr oder weniger künstlerisch gestalteten Spitze auslaufen zu lassen (am schönsten im Art Déco des 1930 eingeweihten Chrysler Building verwirklicht), und macht es doch ganz anders: Bekrönt wird das Sony Building von einem rein ornamentalen Pediment, das den Möbel-Stil des sog. Chippendale aktualisierend umdeutet und das mächtige Gebäude einer englischen Aufsatz-Kommode (›highboy‹) des 18. Jahrhunderts angleicht.[4] Sind die ›glass-and-steel-boxes‹[5] vom Typ des Seagram Building einander zum Verwechseln ähnlich, setzt das Sony Building solcher Stereotypie die Freiheit seiner Individualität entgegen und dementiert die standardisierende Einschränkung auf reine Funktionalität.
Diese Befreiung zur Liberalität kommt besonders am ungewöhnlich hohen Eingangsbereich mit seinen Arkaden zur Geltung, in dem sich mehrere Architektur-Zitate überlagern. Basis-Motiv ist die im 16. Jahrhundert entwickelte Serliana (›venezianisches Fenster‹ oder ›Palladio-Motiv‹), die einen zentralen Torbogen zwischen niedrigere Säulen stellt und so einen dreigliedrigen Portikus bildet, dessen Front das Schema römischer Triumphbogen aufgreift. Bei aller Verfremdung durch die Baumaterialien des späten 20. Jahrhunderts und erst recht in der Ersetzung korinthischer Säulen durch gerade Träger ohne jede Verzierung lässt diese Lobby – von außen betrachtet – z. B. das Vorbild von Filippo Brunelleschis florentinischer Cappella de’ Pazzi (1430-61) durchscheinen, kann zumindest die Einwohner New Yorks aber auch an den artverwandten Sockel des imposanten Municipal Building (1907-14) im Süden Manhattans erinnern.
Insofern lassen sich am Sony Building die primären Stilmerkmale postmoderner Architektur ablesen, die mutatis mutantur auch in den anderen Künsten alle Konventionen avantgardistischer Gestaltung hinter sich lassen: charakteristische Individualität statt Uniformierung, überschüssige Ornamentik statt Funktionalismus, eklektisches Zitieren statt Normativität. Oder mit einem Wort: Ironie. Wie alle postmoderne Kunst ist das Sony Building ironisch konzipiert, weil es sich im Bewusstsein der eigenen Historizität ein souveränes Spiel mit der (Architektur-) Geschichte erlaubt. Die Steifheit der Moderne darf in aller Lässigkeit unterlaufen werden, stehen den Künstlern der Postmoderne doch die unterschiedlichsten Traditionen in gleicher Weise zur Verfügung, die sie auf je ihre Weise rekombinieren bzw. umdefinieren. Bleibt das Seagram Building in seiner reinen, weil geometrischen Selbstbezüglichkeit gewissermaßen stumm, spricht das Sony Building die Betrachter hingegen geradezu an, indem es sie durch seine offensichtliche Mehrdeutigkeit in das Wechselspiel des Zitierens einbezieht.
Ironisch verhält sich die Kunst der Postmoderne jedoch nicht allein zur Überlieferung. Gleichermaßen ironisch geht sie mit ihrem Publikum um, das die sich überlagernden Querverweise kaum je zur Gänze registrieren wird. Es ist auch gar nicht vonnöten, sich baugeschichtlich aufzurüsten, bevor man das Sony Building betritt: Der Kontrast zur traditionellen Moderne drängt sich selbst den Laien auf, die von den eingearbeiteten Mustern nichts ahnen. Zu den postmodernen Gestaltungsprinzipien gehört demzufolge die entschiedene Öffnung für das breite Publikum, das keiner Vorkenntnisse bedarf, um sich an denjenigen zweckfreien Reizen wieder zu vergnügen, die ihm die asketische Stahl/Glas-Moderne zuvor verweigert hat.
Das sog. Haas-Haus in Wien (1990 fertiggestellt) greift das Konzept der modernistischen Glasfront nach Art des Seagram Building auf, realisiert es jedoch gegen den Strich: Hans Hollein hat die Fassade des Eckhauses gekrümmt und diese Rundung durch einen vom Betrachter aus rechts vorgesetzten, zylinderförmigen Glas-Erker noch verstärkt, den ein Dachsegel bekrönt. Dass auf der linken Seite eine Marmor-Verschalung der Fenster den Eindruck einer nach rechts unten verlaufenden Bruchkante hervorruft, zeugt erneut von der Lust am hybriden Form-Zitat, die man vom Sony Building her kennt: Mag die steinerne Umkleidung an das Kolosseum in Rom erinnern, dessen Westseite eine ähnlich abfallende Linie aufweist, wiederholt das Haas-Haus als beinahe 90 Grad umspannender Rundbau die ebenfalls gerundete Südost-Ecke des römischen Castrums, das einst an gleicher Stelle gestanden hat; vor allem aber spiegelt sich im gläsernen Erker der gegenüberliegende Stephansdom, sodass das gotische Wahrzeichen Wiens zum zwar nur virtuellen, doch integralen Bestandteil des postmodernen Gebäudes wird.
Weil es bei diesem Ineinander von Alt und Neu entscheidend auf den jeweiligen Beobachterstandpunkt ankommt, überbietet das Haas-Haus die Mehrdeutigkeit des Sony Building bei weitem. Niemand hat den optisch integrierten Nordturm des Stephansdoms je in genau der gleichen Weise gesehen wie ein anderer Betrachter zuvor, da selbst die jeweiligen Wetterumstände den Anblick noch modulieren. Es ist in dieser Hinsicht eine der eindringlichsten Erfahrungen postmoderner Ästhetik, aus dem Graben heraus nach links zum Stephansplatz zu gehen und dabei das Haas-Haus im Blick zu behalten: In jedem Augenblick verändert sich das, was die – durch den noch wesentlich stärker gekrümmten Erker in sich potenzierte – Glasfassade beobachten lässt, und beständig zeigt sich das Ganze damit neu. Strikter kann der ästhetische Pluralismus nicht zur Geltung gebracht werden, weil sich das Werk erst in der je individuellen Wahrnehmung vervollständigt bzw. seinen ästhetischen Anspruch einlöst; demgegenüber ist das Seagram Building in seiner geometrisch-abstrakten Vollkommenheit völlig sich selbst genug und kann auf das Gesehen-Werden bestens verzichten.
Dass das postmoderne Zitieren nicht notwendig pathetischer, hochkultureller Allusionen bedarf, demonstriert ein von Vlado Milunić und Frank Gehry entworfenes Verwaltungsgebäude in Prag (1996 fertiggestellt) mit der Drastik eines Witzes, sobald man seine Nordseite ins Auge fasst. Der schnell als ›Tanzendes Haus‹ akzeptierte Zwillingsbau an einer Straßenecke bei der Moldau scheint sich über die Gesetze der Statik ebenso hinwegsetzen zu wollen wie über den guten Ton solider Architektur: Die beiden zylindrischen Teile kontrastieren einander in beinahe jeder Hinsicht, indem die schwungvoll verdrehte Glasfront links auf mehreren schrägen Trägern ruht, während rechts die steinverkleidete Fassade sich pilzartig auf einzigen derben Stiel stützt (westlich setzt sie sich halbwegs geradflächig auf weiteren Stielen fort); wie mit einem Hüftschwung schmiegt sich das linke Teilgebäude an sein rechtes Pendant an, das von oben nach unten verjüngt ist und auffällig steif wirkt. Auf diese Weise wird die Differenz von weiblicher und männlicher Körper- bzw. Kleidungsform suggeriert und es fällt nicht schwer, im komplementären Gegensatz ein Tanzpaar zu erkennen (nicht von ungefähr heißt der eigenartige Bau seit langem ›Ginger und Fred‹, weil er an Ginger Rogers und Fred Astaire, die Stars zahlreicher US-Musikfilme der 1930/40er Jahre, erinnert); in gleicher Weise erlaubt die architektonische Differenz aber auch, an den politischen System-Gegensatz von Totalitarismus und Freiheit zu denken.
Das ›tanzende Haus‹ in Prag mag als Pop-Version der Postmoderne gelten. Umso deutlicher ist daran abzulesen, wie sehr die Postmoderne das Spiel mit der kulturellen Überlieferung kultiviert, indem ihre Protagonisten die immense Vielfalt der technischen Möglichkeiten im Interesse einer künstlerischen Liberalität nutzen, die nicht länger auf die Grenzen der jeweiligen Sparte verpflichtet ist. Das gilt nicht allein für die Architektur, die jetzt so zu bauen weiß, wie man immer schon getanzt hat, sondern in ähnlicher Weise auch für Literatur, Musik und alles das, was heute noch Bildende Kunst heißt. Daher sind die Spezifika postmoderner Konstruktion ähnlich in der ›ernsten‹ Musik zu beobachten, wo z. B. Luciano Berios Sinfonia (1968/69) – als vielleicht erste dezidiert postmoderne Komposition – die ›moderne‹ Serialität abschüttelt und namentlich in ihrem 3. Satz Fragmente des Scherzos aus Gustav Mahlers 2. Symphonie (1895) mit zahllosen Kurz-Zitaten aus Kompositionen von Claude Debussy, Maurice Ravel, Igor Strawinsky und Pierre Boulez verschneidet; darüber sind Vokal-Partien gelegt, die u. a. Textfetzen von Samuel Beckett und James Joyce, aber auch Graffiti aus dem Pariser Mai 1968 einspielen.
Im Sinne einer ›regulativen Idee‹, die Abgrenzungsentscheidungen motivieren kann, lässt sich der kleinste gemeinsame Nenner postmoderner Ästhetik mit Blick auf exemplarische Werke von Architektur und Musik anhand weniger Distinktionsmerkmale bestimmen: eklektisches Zitieren, Pluralismus/Mehrdeutigkeit und Ironie. Soll daher ein Werk mit gutem Grund als postmodern gelten, muss es in der eigenen Gestaltung andere, ältere Muster durchscheinen lassen, wobei diese Rück- bzw. Querverweise mehrdeutig organisiert sind bzw. keine organische Geschlossenheit des neuen Gebildes hervorbringen. Es entsteht daraus ein ›Palimpsest‹: die Überlagerung divergierender Sinn-/Bedeutungsschichten, die sich für unterschiedliche Lektüren durch das Publikum öffnen, das je nach Bildungsgrad und sonstigen Besonderheiten seinen individuellen Zugang sucht und mehr oder weniger entdecken, immer aber seine Freude haben wird. Sowohl dieser Freiheit wegen, die sich über alle Eindeutigkeit hinwegsetzt, als auch aufgrund ihrer Palimpsest-Struktur kann postmoderne Kunst nicht anders als ironisch sein und gibt sich darin als – freilich weit entspanntere, weil keinem Ideal mehr verpflichtete – Fortsetzung romantischer Impulse zu erkennen (vgl. S. 27). Was Susan Sontag 1964 als ›camp sensibility‹ definiert, gehört demgemäß in die unmittelbare Vorgeschichte der Postmoderne: eine Gelassenheit, die ›alles in Anführungszeichen sieht‹, daher elementar ›verspielt, anti-seriös‹ sein will und den ›Stil über die Inhalte‹, die ›Ästhetik über die Moral‹, die ›Ironie über die Tragödie‹ stellt.[6]
Fußnotenapparat
[1] Vgl. Wolfe, Tom: From Bauhaus To Our House. New York 1981, S. 104; Klotz, Heinrich: Moderne und Postmoderne. Architektur der Gegenwart. 1960-1980. Braunschweig/Wiesbaden 1984 (Schriften des Deutschen Architekturmuseums zur Architekturgeschichte und Architekturtheorie), S. 147.
[2] Vgl. Wolfe, Tom: From Bauhaus To Our House. New York 1981, S. 4.
[3] Galinsky, Karl: Classical and Modern Interactions. Postmodern Architecture, Multiculturalism, Decline and Other Issues. Austin 1992, S. 6.
[4] Vgl. Galinsky, Karl: Classical and Modern Interactions. Postmodern Architecture, Multiculturalism, Decline and Other Issues. Austin 1992, S. 7.
[5] Jencks, Charles A.: The Language of Post-Modern Architecture. Revised and Enlarged Edition. London – New York 1978, S. 15.
[6] Vgl. Sontag, Susan: Notes on ›Camp‹. In: Sontag, Susan: Against Interpretation and Other Essays. New York 1966, S. 275-292, hier S. 277/280/287.