Praxis: Routine
Franz Josef Degenhardt: »Spaziergang« (1966)
Der 1931 in Westfalen geborene, promovierte Jurist Franz Josef Degenhardt wurde in den 1960er Jahren durch Chansons berühmt, die sich kritisch mit der bundesrepublikanischen Wirklichkeit auseinandersetzten. Der nachstehende Text trägt den lapidaren Titel »Spaziergang« und entstammt seinem Album »Väterchen Franz«, das 1966 bei Polydor erschienen ist.
Hier diese Gegend kenn ich doch!
Da drüben stehn die Weiden noch
und dort versickert auch der Bach.
Dies Roggenfeld lag damals brach.
Schau rechts, mein Sohn, siehst du den Rauch
und links davon den Brombeerstrauch?
Von dort zwölf Schritte hin zum Wald,
da liegt ein Kind, wie du so alt.
Das Kind wollte nach Hause gehen.
das hat der Offizier gesehn
und hat das Kind dorthin gestellt. –
Auch damals hat ein Hund gebellt.
Die Leute hab ich ausgesucht.
Ein alter Mann hat laut geflucht,
doch keiner hat vorbeigezielt. –
Im Wald dort wachsen Kirschen wild.
Doch diese Birke stand nicht dort,
und auch der Schober ist jetzt fort.
Vielleicht ist alles gar nicht wahr! –
Schau, über uns ein Bussardpaar.
Was ist? Was bleibst du stehn, mein Sohn?
Die Sonne sinkt. Nun komm doch schon!
Der Gasthof ist noch weit von hier,
und ich hab Durst auf kühles Bier.
Fragen/Aufgaben
Orientieren Sie sich beim Schreiben Ihrer ca. zweiseitigen Interpretation bitte an nachstehenden Fragen bzw. Aufgaben (die einer realen Prüfungsaufgabe entnommen sind):
1.Führen Sie eine formale Analyse durch!
2. Welche Wortfelder dominieren?
3. Welche Szenerie entwirft der Text?
4. Rekonstruieren Sie die vom Text erzählte Geschichte!
5. Verorten Sie das Geschehen zeitlich (auch hinsichtlich des geschätzten Alters der Figuren). Welches historische Wissen setzt der Text voraus?
6. Benutzen Sie eine der folgenden Fragen, um eine These oder abschließende Lesart bzw. ein Gesamtverständnis des Textes zu skizzieren:
a) Welche Parallelen ergeben sich zu Goethes »Erlkönig«?
b) Welche Form der Vergangenheitsbewältigung wird dargestellt?
c) Wie interpretieren Sie den Vers: »Vielleicht ist alles gar nicht wahr«?